Die Panzer-Armee der Herrenmenschen auf ihrem Raubzug nach Osten hatte die Getreidefelder der Ukraine bereits durchpfluegt. Weiter nach Moskau! In ihrem Gefolge marschierten die SS und Sonderkommandos der regulaeren Armee ein.

Sie taten Unaussprechliches und filmten es. So wie die medizinischen Versuche an armen Kreaturen – Kindern – in Auschwitz.

In Katalyn trieben sie die Frauen zusammen, entkleideten sie und trieben sie an den letzten Ort. Das filmische Dokument, dieses immer wieder schockierende, das erhalten blieb, haelt stellvertretend fuer andere Dokumente unsere Erinnerung wach.

Seit Katalyn sind alle dahingegangen: Die Taeter, die zuschauenden Soldaten, der Filmer.

Es gibt in der Menschheit einen die Grenzen sprengenden Diskurs, – der einzige, der unsere bedrueckende Sozietaet aufhebt, – den des Sterbens. Sterben vor Zeugen. Vielleicht erwischen wir etwas von der Seele. Wie sonst erklaert sich der Menschenauflauf? Gerade bei den oeffentlichen Erhaengungen.

Aber ich will davon nicht mehr reden. Eine Frau hat das alles durchgemacht, – in ihren Armen starben genug Bettler. Aussaetzige. Mutter Theresa von Kalkutta. Es wird Zeit, von ihr zu reden. Diese kleingewachsene Albanerin, der die Inderinnen in ihren Sarais folgten. Die Schwestern der Barmherzigkeit in ihren grobgewebten Gewaendern mit blauer Borte.

Davon will ich reden. Diese Frau, die durch die Menschheit ging wie ein Wasserbueffel. Die trockenste, ausgelaugte, gottesfernste Erde umpfluegte. Sie kuesste den Ring von Wojtyla, das war ihr heroischster Akt. „Wer sich erniedrigt, wird erhoeht werden.“ Sie tat es mit einer Selbstverstaendlichkeit, und Wojtyla konnte sich nicht ihrem Willen entziehen. Er wusste, wie es gemeint war, und deshalb musste er nicht die Maske des peinlich beruehrt Seins aufsetzen. Denn in dem Moment, als sie es tat, Theresa von Albanien, legte sie ihm den indischen Subkontinent zu Fuessen, und er, der nicht Dumme, ermass im gleichen Augenblick, was sie von ihm forderte. „Sie sind unsere Geschwister, Karol….“

Mutter Theresa rackerte und plagte sich ab, ohne Unterlass. Ihr Feuer brannte, dann erlosch es in wenigen Tagen, dann, als ihre Zeit zu Ende gegangen war. Ihre Kerze erlosch, und sie sah die Antwort auf die oft in ihren Tagebuechern gestellte Bitte: „So antworte mir doch! Deine Stille ist mir der groesste Schmerz!“

Sie verlosch, erhielt ein Staatsbegraebnis „mit allen militaerischen Ehren“. Der indische Subkontinent bringt Heilige hervor. Wenn sie dann fortgehen, zerfaellt die Huelle den Zurueckbleibenden unter den Fingern. Doch ein Licht wie die Sonne schwebt ueber dem Geschehen, – so wie in Katalyn, als sie die Frauen im Laufschritt zur Grube trieben.

Es gibt eine Verzeihung der Frauen, die den Himmel in Flammen setzt.

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  1. Wir stehen vor der Wand, ganz nah, aber wir halten sie ausgeblendet. Darin besteht unser Leben: Vor der Wand zu stehen und sie auszublenden. Manche von uns halten anderen, die so wie wir vor der Wand stehen, eine Pistole ins Genick, oder ein Sturmgewehr. Sie drücken ab. Ein anderer stellt sich hinter die Mörder und macht das gleiche. So ist es im nicht endenden Krieg. Bis auf den heutigen Tag hält dieses unheilige Treiben an, diese Gottesverleugnung. Wir stehen vor dieser mächtigen Nebelwand, die vor uns wabbert und bis in den Himmel hinaufreicht, aber das einzige, was uns einfällt, ist die hartnäckige Leugnung des wahrlich einzigen Existenzials in unserem Leben. „Die Berührung durch die Hand des Todes ist der einzige wichtige Moment in deinem Leben. Er selbst sagt es dir: „Wenn ich dich berühre, ist es der einzige wichtige Moment in deinem Leben. Der letzte.““

    Die Schergen der Totenkopf-SS gefielen sich in dieser Pose: Routiniertes Abschlachten von nichtsahnenden „Untermenschen“, industrialisiert wie in Polen, dieser Hölle auf Erden. Die Hölle ist mittlerweile weitergewandert und hat an anderen Orten halt gemacht: In Uganda, Burundi, Kambodscha, China. Überall treten die einen hinter die anderen und erwirken Fangschüsse. Die Mordopfer fallen durch die Wand, die Täter rücken nach. 50 Jahre später fallen auch sie durch die Wand.

    Wer vermag sich vorzustellen, wie es war, als die Frauen von Katalyn an jenem Sommermorgen 1943 in ihrem kleinen Städtchen, eingepfercht in Baracken, aufwachten und sie von bellenden Frauen in Uniform aufgefordert wurden, sich auszuziehen. Dann wurden sie im Laufschritt hinausgetrieben, an den Rand eines Grabens, in dem schon andere Frauen lagen, mit durchschossenem, blutüberströmtem Schädel. Wie ist dieses Grauen in der Vorstellung auszuhalten? Manche von diesen Frauen mögen gebetet haben. Manche. Nicht alle. Manche werden in diesem Schock des Anblicks vergessen haben, wie sie beten könnten. In diesem Schock der Gewissheit, jetzt endet alles. Doch manche dieser Frauen werden die Wand gesehen haben, die unbeschreibliche, die bis in den Himmel reicht und allzeit vor uns steht, eine Armlänge entfernt. „Und sie schleppten ihn vor die Stadtmauer, wo sie ihn steinigten. Und die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines Antreibers mit Namen Saulus. Und so steinigten sie Stephanus, der betete und ausrief: „Herr Jesus, nimm meinen Geist zu Dir!“ Und in die Knie sinkend, rief er mit lauter Stimme: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Und mit diesem Wort auf den Lippen verschied er.“ (Apostelgeschichte 7, 57-59)

    Die zinnoberrote Nebelwand steht immer vor uns. Eines Tages, zu einer Stunde, die wir nicht kennen, zieht sie uns in sich. Wir stehen immer vor ihr, der Wand. Was wir tun, ist belanglos. Es führt nirgendwo hin. Nichts bringt uns von dieser Wand weg. Und so stellen wir uns blind und tun so, als hätte unser Tun Belang. Doch Belang vor wem? Belang vor dem Führer? Belang vor dem Papst? Belang vor dem Kommandierenden der Streitmächte? Belang vor Gott? Halten wir die Wucht dieses Schlages aus, der uns das Leben nimmt und durch die Wand fallen läßt?

    Für die Frauen von Katalyn war in diesem Augenblick nichts mehr von Belang, auch nicht ihre Familien. Doch die Täter wußten mit Sicherheit nicht, was sie taten. Heute lebt keiner jener Täter mehr. Wer vermag zu sagen, was sie gesehen haben, als sie durch die Wand traten? Oder wie Rudolf Höß, der Kommandant von Ausschwitz, der standrechtlich gehenkt wurde. Über der Falltür war sein letzter Ausruf „Heil Hitler!“ Dann öffnete sich die Tür unter ihm, und er fiel durch sie hindurch.

    Die Wand steht vor meiner Nase. Ich leugne sie hartnäckig. Mein Treiben den Tag über, – pure bodenlose Torheit. Ich tue so, als lebte ich ewig. Ich bin wie ein Affe, der sich von Ast zu Ast weiterhantelt. Die kleinen Freuden, die kleinen Süchte, die kleinen Gewohnheiten des Alltags. Ewig leben. Kein Gedanke an den Tod. Wir wissen, das Gräuel streift auf der Erde herum, doch bitte nicht in meinem Garten. Nicht in meiner Edelkarosse, die vom Swing der dezenten Stereoanlage erfüllt ist. Nicht auf dieser Autobahn. Nicht auf dieser Autobahn. Nicht hier, nicht jetzt. Später vielleicht. Wir machen uns das noch aus, ja? Vorbei am zerquetschten Igel.

    „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ So röchelt einer, der das Ende unmittelbar vor sich sieht. Und mit dem Ende die Tragweite. Die Tragweite einer Nebelwand bis in den Himmel hinauf, vorbei an Sonne und Mond. Hinauf in die Unendlichkeit. Aber unten, zu seinen Füßen, würfeln sie um sein Gewand und grinsen wie Stiere, die Schergen, denn ihr Geschäft ist es, die armen Teufel über den Jordan zu bringen, nachdem sie sie mit Eisenruten ausgepeitscht und sich an der Angst und den Schmerzen ihrer Opfer ergötzt haben. („Hört, wie er nach Elias ruft!“) Freilich, dieser eine hatte sich ein Leben lang auf diesen Schritt vorbereitet, soviel steht fest. Es bleibt mir nur, es ihm gleichzutun. Und das wollen wir sicherheitshalber in Granit schlagen.

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