Wir haben heuer ein wasserreiches und sturmreiches Jahr. Vor 14 Tagen fegte fuer 2 Stunden ein Hurrikan durch das Dorf und deckte 15 Huetten ab. Da der Wald im naeheren Umkreis in der Vergangenheit abgeholzt wurde, liegt das Dorf nunmehr ungeschuetzt vor den Boeen, die, aus Yushintaita im Osten kommend, in das Flusstal mit groesserer Wucht als im Wald selbst einstuerzen. Die Blitze, die den Sturm begleiten, knistern bisweilen waagrecht durch die Strassen, hat es den Anschein. Nur ganz wenige Ziegelhaeuser haben Blitzableiter. Das letzte mal, als ein Blitz in eine Huette fuhr und alle darin Anwesenden, so wird erzaehlt, in Asche verwandelte, liegt bereits gute 10 Jahre zurueck.
Noch drinnen im scheinbar geschuetzten Haus wird das Herz zaghaft. Was kann man denn dieser Urmacht entgegensetzen? Man wagt nicht weiterzudenken. „Ausgesetzt sein“ bleibt das einzige Gefuehl, bei vielen, die da hinausschauen, schweigend. Alle schauen schweigend hinaus. Alle Kreaturen, die im Haus leben.
Weder in Otorongo noch in Yushintaita hatten wir jemals groebere Unwetter waehrend unserer Zeremonien. Regen, ja. Man hoert ihn rauschend auf das Blaetterdach fallen, diesen ewigen Regen, der uns horchen laesst. Die Ayahuasca-Trance laesst nach. Die Tukane haben aufgehoert zu klagen. Mit offenem Schnabel sitzen sie in den Baumkronen und lassen das Nass von einem Blatt ueber ihnen in sich hineinrinnen. Wie klein kann man werden.
Die Hiesigen unterscheiden „Donner-“ und „Himmelsayahuasca“. In der Hauptsache. Das eine ginge grob zur Sache, fuehre in die Unterwelt, das andere hinauf, weniger grob. Grob ist die Mutter zu den meisten, selbst zu den Meistern. Sie mag es nicht, wenn man sie respektlos behandelt und sich in der Rolle des Schmutzfinken gefaellt. Die Qualen waehrend einer Zeremonie sind manchmal unbarmherzig. Man moechte sich hinlegen, zuruecklehnen, zusammenkruemmeln, schlafen, an nichts mehr denken. Oder 2 Stunden auf dem Klosett verbringen, zusammen mit anderen Leidensgefaehrten. Die Toilette wird immer mehr zum zweiten Zeremonialraum. Die Leute wissen nicht mehr, wo sie sitzen und was sie tun. Sie sehen den Meister vor sich, musizierend. Was aber geht einem Meister durch den Kopf, wenn er einmal selbst der Notwendigkeit gehorcht? Man darf nicht behaupten, die Mutter zuechtige nicht auch den Meister. Aber mit Sicherheit faellt sie ihn nicht wie uns. Manchmal ueberfaellt die Vision den Skeptiker wie eine Totenglocke. Trauer und Staunen huellen ihn ein, Scham stellt sich ein. Nur wenige weinen. Wie schwer faellt es zu weinen und zu erbrechen. Ausgetrocknete Baeche aus Stein, ausgedoerrte Fluesse aus Schlamm, Zeugnisse eines veraenderten Seinszustands. „Als ich die Reinigungsprozedur hinter mir hatte, verbrachte ich die restlichen Stunden im Gebet“. Dieser Ausspruch stammt nicht von einem einzelnen. Welches Gottvertrauen spricht nur aus diesem Zeugnis. Welcher Kampfeswille. Verstehen, was war und was geschieht. Vertrauen und Glauben, wenn die Kraft nicht mehr ausreicht.
Mit Gruessen der Hochachtung an alle Mystiker/-innender Nacht, insbesondere in Nuernberg, Erlangen und Reichenau/Rax.