Es gibt gewisse Dinge, die uns heilig sind. Dinge, von denen wir ein Lebtag lang zehren. Dinge, mit denen wir schlafen gehen und an die wir uns halten, wenn wir im Morgengrauen, in der Stunde des Wolfes, wie Ingmar Bergmann die Stunde zwischen Drei und Vier nannte, erwachen, der Stunde der Henker, in der die Todesurteile vollzogen werden … oder vollzogen wurden.
Die Stunde zwischen Drei und Vier, in der Pater Pio aufstand, seine Morgentoilette verrichtete und zur Frühmesse schritt. Seine Frühmesse war für Vier angesetzt. Sie war immer randvoll gefüllt. Die Gläubigen draußen standen bereits in Schlangen. Der Pförtner öffnet die Tür und sie drängen herein; liefen geradezu, um die vordersten Bänke zu ergattern. So war es in den 40er und 50er-Jahren, als Europa noch größtenteils in Schutt und Asche lag. Gottes Vorsehung hatte das versteckte Dorf in den Abruzzen vom Bombenhagel der Amerikaner verschont. San Giovanni Rotondo war immer schon ein Idyll, auch während des Ersten Weltkriegs. Ein im Winter tiefverschneites Kleinod. Eine gläubige, arme Bevölkerung. Die Super Acht-Kameraaufnahmen zeigen leibhaftige Historie, geradezu Folklore, möchte ich sagen, teils sogar in Farbe. Das Kloster hatte eine amerikanische Gönnerin, Mary Plym, die sich von Beginn an für Pater Pio einsetzte und die ihr Vermögen für die Klostergemeinschaft einbrachte. Natürlich zum Neid gewisser Kreise. Doch all das ist vergangen und gerichtet. Was zählt, sind diese Filmaufnahmen von ihr, in Super 8, wie gesagt, vom Alltag des Klosters, mit Francesco Forgione im Mittelpunkt, aber nicht nur. Die Klosterbrüder, die ach so liebhaf kindhaften, die unbeschwerten, die tiefgläubigen, spielen alle mit, vom Gang zum Morgengebet um Sechs angefangen bis hin zum Mittagessen um, weiß Gott, wann. Selbst dort noch kurzes Hinknien und ein Kreuzzeichen vor dem eingeschenkten Suppenteller. Wir haben ein Foto des Paters, wie er im Refektorium noch kniet, die Arme ausgebreitet, während die Mitbrüder vom Essen ungläubig aufstarren.
Er war ein Mitbruder. Er stand nie vorne, sondern inmitten von ihnen. In den 60ern dann hatte er seine eigenen Winkel im Kloster. Man sieht ihn in Winkeln und Treppennischen sitzen, eine Kuttengestalt, und selbst dort noch schiebt ihm ein Familienvater seinen Sohn zu, er möge ihm das Kreuzzeichen auf die Stirn legen. Der Italiener küßt ihm wie selbstverständlich die Hand. Mitbrüder bringen ihm ein Holzkreuz, er möge es segnen. Mitbrüder setzen sich zu ihm, im Vertrauen. Manch einer nutzt die Gelegenheit und beichtet bei ihm an Ort und Stelle. Andere Brüder, im Alter noch weiter fortgeschritten, lehnen sich an ihn an, finden Erleichterung. Er hat nichts gegen ein Pläuschchen, bleibt immer witzvoll, wenn nötig. Wie wir wissen, trank Pio zu Mittag ein Seiterl Bier, vom Arzt verschrieben, zudem zum eigenen Gusto. Er war stigmatisiert, ein Heiliger, und trank ein Seiterl Bier, ohne Bayer zu sein. Ein Italiener aus den Abruzzen. Ein einfacher Mann vom Land. In den Jahren 50 und 60 war Süditalien in Bewegung, eine Pilgerbewegung nach San Giovanni Rotondo hatte bereits damals eingesetzt, als der Rest des freien Europas noch im christlichen Dornröschenschlaf verharrte, ausgenommen Polen.
Denn bereits 1947 kam ein Kaplan aus Polen zu Besuch, mit einer kleinen Gruppe ausgewählter Pilger. Gottes Fügung. Der Pater, 60-jährig, fragt seinen jungen Mitbruder und späteren Biographen, wer der Besucher sei. Antwort: „Er kommt von weit.“ Der Besucher, im Talar, steht still in der Sakristei der Kapelle. Sein Gesicht ist elfenbeinfarben. Pio, in brauner Kutte, geht auf ihn zu. Ein Meister geht auf einen Schüler zu. Der Meister tritt in den Glanz Gottes ein. Die Vision überlagert das Gewohnte. Pio erträgt das Gewicht der Vision. Er mustert den Mann von oben bis unten. „Cómo te llamas? Wie heißt Du?“ Der junge, unschuldige Besucher nennt ihm seinen Namen. Pio umarmt ihn mit der Linken wie einen alten Kumpel. „Gehen wir beten. Wir werden die ganze Nacht gemeinsam beten.“
Das ist die rechte Rede.
Stante pede gingen sie in die Kapelle und knieten nieder. Es gibt genügend Fotos, auf denen der Pole kniet, das Gesicht mit seinen Händen bedeckt, oder den Blick „verzückt“ nach vor zum Altar gerichtet. Der Blick, wie er das Marienbild oder das Kruzifix betrachtet, wird die Geschichte überdauern. So beteten die beiden Priester die ganze Nacht. Es war damals bei weitem nicht das erste Mal, daß Gottes Hand Karol Wojtylas Herz berührte. Doch Wojtyla mußte erst mit der Zeit verstehen, was damals, in jener Nacht, geschah. Er mußte erst verstehen, warum ihn der Herr nach San Giovanni Rotondo geführt hatte, mitten durch ein zerstörtes Europa.
Pater Pio war ein Heros sondergleichen. Einer der wenigen des 20.Jahrhunderts. Vielleicht deren größter. Er war Christ. Ein Arbeiter im Weinberg Christi. Er hatte eine eiserne Statur, obwohl er immer wieder mit Fieber darniederlag. Stelle man sich vor, ein Mensch, der wiederholte Male von Fieber von 47° geschlagen wird. Tatsache. Pios Leidensweg begann bereits in der Jugend und im Noviziat und ging dann weiter als junger Priester. Der Mann war vom Feuer geschlagen. Er glühte von innen. Er wurde besetzt vom Geist Christi. Er ertrug es mannhaft.
Die Mitbrüder berichteten glaubhaft, was sie sahen und hörten. Pio gestand es selbst. Der Engel ist anwesend, die Gottesmutter und sogar der Herr. In seiner Zelle. Es ist Abend. Da knurrt der Teufel, eine furchterregende Gestalt. Der packt ihn an der Gurgel und fetzt ihn an die Wand. Schreckliches Knurren und Lärmen. Den Brüdern draußen schlottern die Knie. Dann wird es still. Die Brüder treten bangen Herzens ein. Pio blutüberstömt am Boden. „Was muß ich für ein Sünder sein, daß der Herr mir diese Prüfung auferlegt, zusätzlich zu den Zeichen? Welche Freiheit gibt er dem Abscheulichen? Ein göttliches Mysterium.“
Pio stirbt am 23.September 1968, einen Tag nach dem 50.Jahr seiner Stigmatisation. Die Stigmata verschwinden, wie es ihm der Herr geweissagt hatte. Pio weiß, es ist Zeit. Die letzte Messe. Die von nah und fern herbeigeströmten Gläubigen, festlich gestimmt, erschrecken. „Oh Gott, er bricht direkt bei der Messe zusammen!“ Ein letztes Mal hört er Beichte. Am Abend legt er sich hin zum Sterben. Die Brüder sind bei ihm. Draußen der Engel, mehrfach bezeugt. Himmelhoch aufragend. Amen.
Pater Pio von Pietrelcina wurde 2002 vor hunderttausenden begeisterten Italienern vom Polen Wojtyla, einem Giganten, heilig gesprochen. Der Pole Wojtyla wird es heuer, 2014, eine Woche nach Ostern, dem Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit, seinerseits. Die Heiligsprechung wird ein Argentinier vornehmen. Ein Mann franziskanischer Einfachheit.
In jenem Jahr, 1947, zwei Jahre nach den drei Atombomben, standen sich im Kloster San Giovanni Rotondo zwei Heilige gegenüber, der eine 60, der andere 27, ein geprüftes Kind aus Wadowice. 21 Jahre später stirbt der eine, 58 Jahre danach der andere. Sie starben im Glauben. Des Jüngeren Sterbeworte, auf Polnisch, waren: „Laßt mich zum Vater gehen!“ Die des Älteren: „Zu Dir, oh Herr, gehe ich! Zu dir, Mutter, gehe ich!“ Amen.
Die beiden sind nicht tot. Sie wohnen im Haus des Vaters und blicken auf uns herab. So sagte es Joseph Ratzinger beim Requiem des Jüngeren. Ein Heiliger, der ohne Sünden starb. Direkt aufgefahren in den Himmel.
Ayahuasca bezeugt es. Es gibt Menschen, die ohne Sünde sterben.
Und so ist er immer bei uns, der bärtige Padre aus Süditalien. Der gute Vater. Ein Mensch wie Du und ich.
Ein Mensch wie wir?
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Morgengrauen. Morgenbeten.
Das Beten vor dem anhebenden Morgengrauen, nach schlimmsten Albdrücken. So wie mein Freund Kurt Kofler, ein wirklich guter Freund, einer der längsten Wegbegleiter, ein knochenharter Ayahuascero, wie er weinen mußte an einem Morgen, nach einer durchlittenen Nacht in der Hölle. „Helft’s mir, ich bin in der Hölle! Die Teufel reißen ihr Maul auf und geifern nach mir mit der Zunge!“ Am Morgen damals, 2001, weinte Kurt, denn er sah den Himmel. Er sah also beides, in einer Vision. Das war das Geschenk von „La Madre“, nachdem er zuvor vier Mal bei Agustin, dem Dank abzustatten er gekommen war, gekichert hatte.
„Die Menschen sind Teufel“, sagte Anna, in ihren ansatzlos luziden Momenten. „Ich habe Angst vor den Menschen. Sie sind zu jeder Gemeinheit fähig. Der Heilige Geist prüft uns alle, bis zum Tod. Wo findest du einen reinen Menschen?“
Sie sagte noch etwas Anderes, ich habe es schon einmal erwähnt, möchte es aber jetzt nochmals wiederholen. Es gibt mir zu denken, grade heute. Sie sagte: „Ich kenne die, die sich weihen haben lassen. Zumeist denken sie nur allzu menschlich. Sie sind vor Anfechtungen nicht gefeit. Oft sind sie kleinliche Großmäuler. Sie haben keine Ahnung. Ich sehe das Gemälde am Hochaltar des Sonntagberg (eine Wallfahrtsbasilika im niederösterreichischen Mostviertel). Gottvater über seinem leidenden Sohn am Kreuz. Diese Darstellung ist durch und durch anstößig. Die Menschen verstehen sie im Grunde nicht. Und wie sollten sie so etwas Unerhörtes darstellen? Warum reden sie so davon? Gott Vater gibt aus Liebe zu den Menschen seinen einzigen Sohn. Ich kann das im Grunde nicht verstehen. Erst wenn ich gestorben bin, werde ich es verstehen.“
Das ist das Testament Annas, die Zeit ihres Lebens das Rad des Leidens anhalten wollte.
Dieses unser Leben, hier und heute, ist nicht nur paradox, es ist auch widersinnig und, mehr als alles Andere, unverständig.
Wir haben zwei Päpste. Was, wenn Jorge Mario Bergoglio vor Joseph Ratzinger stirbt?
Wir leben auf diesem Planeten, gewissermaßen dem Zentrum des Kosmos. (So sagt es ja auch Tenzin Gyatso zu Werner Herzog in Bodhgaya: „Jeder von uns ist das Zentrum des Kosmos.“). Wir sind gottgewollt auf einem gottgewollt idealen Planeten. Auf einer paradiesischen, Leben ermöglichenden, blauen Insel inmitten dunkler Unendlichkeit.
Wer sagt, wir sind nicht gottgewollt?
Warum sandte Gott seinen Sohn? Das muß man erst einmal andenken. Für manche ist das ein Stehsatz; ein Buchtitel (siehe Christoph Schönborn). Kann man auf diese Frage als Nicht-Theologe, als Skeptiker, als Fragender (und das ist die Herausforderung!) überhaupt eine vernünftige, verantwortungsbewußte Antwort geben?
Warum sandte Gott seinen Sohn? Das ist der Anstoß. Er hat die Geschichte der Menschheit verändert wie kein zweiter, soviel steht für mich fest. Mehr als Buddha, mehr als Einstein, mehr als Oppenheimer oder Planck. Mehr als Gandhi. Die Antworten sind als Dogma formuliert. Leider. Das macht den modernen, selbstbewußten Menschen in Gedanken abspenstig. Deshalb sagt Frau Dr.Renée Schröder, Direktorin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, eine Molekularbiologin: „Alles Schmarren!“ „Alles Schmarren“ sagt auch Stephen Hawking. Tausende andere Wissenschafter stimmen dem zu. „Doktrinäres Geschwafel!“ „Es wird damit doch nur aufs Neue bewiesen, wie sehr diese katholische Kirche autoritär sein will. Sie hat ihr inquisitorisches Gehabe nie abgelegt. Sie will freies, nüchternes Denken einfach nicht zulassen.“
Dr.John Nunn, ein englischer Mathmatiker, Schachgroßmeister und im Alter jetzt passionierter Hobbyastronom, sagt Ähnliches auf noble englische Art: „Unsere Milchstraße mit 100 bis 300 Milliarden Sonnen. In unserem lokalen Galaxienhaufen die Kugelgalaxie M130 mit wahrscheinlich über einer Billion Sternen. Kosmosweit über 100 Milliarden Galaxien. Schätzungen. Und die Kirche, soweit ich es verstehe, spricht vom Christus des Weltalls.“
Gottes einziger, eingeborener Sohn, mit dem Vater wesensgleich, kommt auf die Erde, unseren Planeten, um den Menschen von seiner ererbten Schuld der Ureltern, Adam und Eva, zu erlösen.
Die Menschen sterben nach wie vor. Nur Christus, so sagen sie, stand als einziger am dritten Tage von den Toten auf. Ein Skandal.
Lazarus starb einen zweiten Tod, so wie alle sonstigen vom Tode Erweckten, von denen das Neue Testament berichtet. Maria, die Gottesmutter, starb nicht, sagen sie. Joseph, der Stiefvater, der Zimmermann aus Nazareth, jedoch sehr wohl. Die Toten werden mit jedem Tag immer mehr. Eine Anklage. Ein Schrei ins Nichts. Doch es ist nicht Nichts. Selbst das kosmische Nichts ist relativ. Ein Atom pro Kubikmeter. Der Kosmos ist nicht leer. Kein Mensch verschwindet. Die Gestalt vielleicht, doch nicht sein Leib. Nichts kann sich aus dem Kosmos fortstehlen. Unser Leib, in Transformation, bleibt erhalten, schlußendlich, wenn wir diese Linearität fortdenken, in einem transformierten „toten“ Stern.
Was hat Christus geändert? Alles. Das doch wohl (so sprach zum Beispiel Freund Umberto). Glaube, Hoffnung, Liebe. Weg, Wahrheit, Leben. Er sagte es selbst: „Ihr könnt das Gleiche vollbringen wie ich. Dies und noch viel mehr! Folget mir nach.“ Tod und Auferstehung. Auferstehung nicht nach vier Milliarden Jahren oder nach bezifferbarer Zeit.
Am Ende der Tage, das heißt doch, am Ende meiner Zeit. Auferstehung am Ende meiner Zeit. Denn mein Tod ist das Ende der Welt. Warum also nicht am dritten Tage?
Pater Pio ist längst auferstanden, auch wenn wir ihn in der Krypta von San Giovanni Rotondo hautnah bewundern können. Im Tod sind alle gleich, sagt das Volk. Weshalb also warten? Warten worauf?
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Francesco Forgione war anders. Er zweifelte nicht. Er schrieb einmal: „Eher vergehen Himmel und Erde und alle Sterne, als daß die Welt ohne tägliches Meßopfer bestehen könnte.“ So einen Ausspruch, diesen Glauben verstehen die Heutigen nicht mehr. Viele verstehen das heute nicht mehr. Es klingt ihnen wie Nonsens.
Francesco Forgione kannte wahrscheinlich – wahrscheinlich – den Kosmos nicht. Er wußte nichts von Andromeda. Wahrscheinlich. Er wußte nur wenig von der Welt. Er lebte abgeschieden von der Welt am Sporen Italiens.
Er zweifelte nicht. Er lebte die pure Inbrunst. Er wußte, was er tat. Er hatte eine differente Wahrnehmung. Er war damit gesegnet. So wie mit den Stigmata. Manche behaupten tolldreist, das wären chemische Fälschungen gewesen, die er sich selbst aus Sensationsgier zugelegt hätte. Dieser Unsinn wird sogar noch in Wikipedia bis auf den heutigen Tag kolportiert. Soweit gehen die Menschen. Verunglimpfen, bis zum letzten Atemzug. Nichts ist mehr heilig.
Pio wachte für gewöhnlich um 3.30 Uhr auf. Dann betete er und bereitete sich auf die Messe vor. Um 4.00 Uhr öffnete der Pförtner die Kirchentüren und die Menschen strömten herein. Liefen geradezu herein. San Giovanni Rotondo war jeden Tag überfüllt. Um 4.30 Uhr las er die Messe, die bisweilen bis 7.00 Uhr, 7.30 Uhr dauerte. Oft verharrte er in der Messe bis zu einer Stunde im Gebet für die Verstorbenen. Die Inbrunst, mit der er die Messe las, bewegte, berührte alle. Der Mann war ein Mystiker. Er zweifelte nicht. Er war ein Wundertätiger. Vielfach. Unzählige Male. Er heilte eine Freundin Wojtylas, eine vierfache Mutter, sie selber Ärztin. Wojtyla schrieb ihm vom Vatikan aus einen Brief auf Lateinisch. Pio lies sich den Brief vom Überbringer direkt vorlesen. Seine Antwort: „Giovanni, da werden wir nicht „Nein“ sagen können.“ Das war der Segen, das Licht, unter dem Forgione zeitlebens wandelte. Ein Geschenk. Dieser Glaube, ein Geschenk. „Göttliche Gnade“ nennen sie es. Zu Recht.
Dante’s Inferno (2)
Ferguson in Missouri brennt. Der Preis der Tötungswut schußgeiler Polizisten. Der Preis des Hasses gegen die Schwarzen, die Abkömmlinge von Millionen Sklaven, jener Sklaven, die vor 250 Jahren unter anderem dort eingeschifft wurden, wo heute Ebola wütet. Der junge Michael Brown wurde mit sechs Schüssen getötet. Ein Unbewaffneter. Ein schweres Vergehen gegen Gott und die Menschlichkeit.
Das, Mister President, kriegen Sie nicht so schnell weg. Im Gegenteil: Das zerstört Ihnen nachhaltig Ihren „American Dream of Life“. Ein Traum, der durch die allseits grassierende Gier auf Wallstreet ohnehin schon seit Jahrzehnten mutwillig zu einem Albtraum pervertiert wurde. Das Traurige an diesen Geschehnissen jetzt in Ferguson ist jedoch, daß die Regierung nicht den Mut finden wird, das, was wirklich hier passiert, zur Rede zur bringen und in einen Staatstrauerakt einfließen zu lassen.
Mister President, Sie sollten für Ihr Land, die USA, eine einwöchige Staatstrauer proklamieren. Sie als Friedensnobelpreisträger. Sie als Schwarzer. Sie als kluger Mann, der von den Schwarzen gewählt wurde. Alleine die Tatsache, daß Ihre Polizei mit Kriegsgerät ausgerüstet ist und sich noch dazu mit diesem Stolz zeigt, als befände sich ihr Land „in a situation of war“, zeugt bereits vom schlechten Gewissen der sogenannten „Sicherheitskräfte“.
Das Problem, das Sie haben, Mister President: In Ihrem Land weiß niemand mehr, was „Sicherheit“ ist. Der Wert, der in Ihrem Land zum Götzen erhoben wird, jeden Tag, jede Stunde, ist der Wahn, die Illusion. In Ihrem Land, Mister Obama, haben sie sich seit Jahrzehnten die Teufelsanbetung eingehandelt. Der Götze, das ist der Wahn. Und Wahn ist keine Sicherheit. Er führt direkt über kurz oder lang ins Final. Ihr Vorgänger Ronald Reagan, der nicht unsympathische, leider schon Verstorbene, murmelte etwas vom „Reich des Bösen“. Er proklamierte den Raketenschutzschild (wurde nicht verwirklicht) gegen die Sowjetunion. Doch das Feuer rast durch die Straßen der Südstaaten, es rast durch den Geist Ihrer Bürger. Massenmörder, Serienkiller, Amokläufer, Rasende.
Mister President, Sie besuchten den Papst, Sie, als Christ (ich denke, doch wohl schon). Und Sie erheben nicht Ihre Stimme, … zuhause. Für Ihre Bürger. Bitte tun Sie es. Danke für die Yeziden und die Kopten. Aber zuhause, bei Ihnen, Herr Präsident, brennt es.
Meine Damen und Herren der NSA: Diesen Brief so schnell als möglich checken und an den Präsidenten weiterleiten. Ein Christ spricht zu einem Christen. Danke und Amen.
Wechseln wir das Thema. Ich wollte eigentlich von etwas anderem sprechen, aber der farbige Bub aus Ferguson läßt mich nicht los. Diese Szene des mutwilligen, teuflischen Tötens. Das ist der Kern: teuflisch. Die Teufelsbesetzung.
Die Hölle, das ist allgemeines Rasen. Allen Menschen wird das Rasen gemein. Potentiell. Jene, die Zugang zu Waffen haben, sind besonders gefährlich. Sie sind besonders gefährdet. Das beginnt bereits mit dem Küchenmesser. An dem fehlt es in keinem Haushalt. Man kann Veganer sein, doch es fehlt nicht am geschliffenen Gemüsemesser. Das Brotmesser mag weniger scharf sein. Waffen haben ein vielfältiges Gesicht. Manchmal sind sie unsichtbar, so wie die Nervengase. Eine Lüge ist auch eine Waffe. Sie zersetzt die Gemeinschaft. Ein Fluch, das hassende Wort, ist eine Waffe, so wie der hassende Blick, ohne Zeugen. Ja, warum hat sich Robin Williams denn umgebracht, der Arme? Und noch dazu auf diese ungustiöse Weise? Konnte er denn nicht an seine Gattin denken, von der er doch wissen mußte, daß sie ihn in der Früh‘ finden würde?
Robin Williams, der Lehrer aus dem Club der toten Dichter, starb einen Stellvertretertod. Das wissen nur die Allerwenigsten. Dieser Mann war radikal. Er war kein Schelm. Als Lehrer im Club war klar, dieser Mann ist ein Todeskandidat. Dieser Mann spielt sich selbst, so wie Heath Ledger, der Joker. Der Blick dieses Mannes war abgründig, sogar in diesem Dschungelfantasiekinderfilm „Shumanji“, wo er aus dem Dschungel auftaucht, ein seit einem Jahrhundert Verschollener, ein von einem magischen indischen Würfel-Spiel Verdammter. Die Todesgefahren, so Robin Williams‘ Blick, sind todernst, mitten im luxuriösen Vorstadtidyll. Er bewegte sich wie Freiwild. Wie ein Wilder. Ein Unsteter. Ein nie Ruhender. Diejenigen, die nie ruhen, sterben früh. Williams war 61. Heute kein Alter. Doch er hatte bereits seit langem gelitten. Ich kenne sein Leben nicht. Ich hätte gern mit ihm geredet. Jetzt kann ich nur mehr trauern.
In diesem Jahr 2014 sterben die Schauspieler und Musiker massiv.
Wie entkommt man der Hölle, der sogenannten ewigen Verdammnis? Genau besehen – durch Hoffnung. Als Mensch von „ewig“ zu sprechen, ist ja lästerlich, ebenso wie von „Verdammnis“. Fragen wir besser: Wie in der Hölle leben, in unserer Hölle, dieser Menschenhölle hier, vor unseren Augen? Eine willkommene Antwort finden wir in beispielgebenden Menschen: Nehmen wir Mutter Theresa von Kalkutta (sie lebte doch wohl in der Hölle), oder nehmen wir ihren Kompagnon, den heiliggesprochenen Polen in Weiß. Er lebte zwar nicht in der Hölle, sondern eher im fürstlichen Himmel, doch er wußte doch wohl, was die Hölle sein konnte, – hier auf Erden. Er wurde aus nächster Nähe angeschossen, von einem Handlanger der Sowjets, einem Profikiller, der nie – selbst als er bereits in der Einzelzelle saß – verstehen sollte, warum er gefehlt hatte. Er konnte nicht glauben, daß die sogenannte „Muttergottes“, jene von Fatima, mit ihrer Hand die todbringende Kugel abgelenkt haben sollte. Der Pole führte ein asketisches Tagebuch, das heuer veröffentlicht wurde. Man kann sagen, er entkam der Hölle durch disziplinierte Geistigkeit und Schaffenskraft. Er hatte einen eisernen Willen. Kraft dieses Willens konnte er sein vorletztes Buch mit „die Schwelle der Hoffnung überschreiten“ betiteln.
Er lebte in einer Welt, die für die Mehrheit der Menschen unverständlich ist. Das ist schade. Denn die Frage liegt doch nahe: Wenn jemand nicht in der Hölle lebt, wo lebt er dann? In einer Haltung der Dankbarkeit? Herr Nachbar, bitte kommen Sie mir nicht mit diesem pietistischen Geträufle! Für das Leben dankbar sein? Daß ich nicht lache! Das Leben ist doch schon schlimm genug, und es verläuft tödlich! Genügt Ihnen das nicht? Schauen Sie sich doch diesen armen Zimmermannssohn an, den diese Kirchgänger verehren! Wie endete er? Na, sehen Sie? Was habe ich Ihnen gesagt? Das Leben endet tödlich. Finden Sie das erheiternd? Den armen Kerl haben sie ausgepeitscht. Das Fleisch hing ihm in Fetzen vom Leib. Er hätte bereits auf dem Marsch hinauf nach Golgotha tot unter der Last des Kreuzes zusammenbrechen können! Er hatte Pech! Warum hat er seine Schnauze nicht gehalten? Er war halt ein Quassler, ein verquerer Revolutionär, so wie Ché Guevara. Seine Anhänger haben den Leichnam heimlich beiseite geschafft und seine Auferstehung erfunden. Und weil sie machtgeil waren, ließen sie sich auf das Spiel ein, die Lehre ihres Rabbis zur Religion zu erheben. Das war ihnen auch der eigene Tod wert. Alle Achtung, immerhin! Und nach 300 Jahren hatten sie es geschafft. Konstantin machte das Christentum zur Staatskirche. Netter Erfolg! Und die Kirche ging gleich daran, ein despotisches Herrschaftssystem aufzuziehen. Schauen Sie sich nur all die Reichtümer an. Blutgeld! Alles von den Armen bezahlt. Wieviele Sklaven starben bei den Kirchenbauten? Unzählige. Und dieses System haben wir bis heute. Kirchensteuer! Gerichtlich gepfändete Kirchensteuer! So lebt es sich leicht! Also hören Sie mir davon auf! Diese Schauspieler mit ihren pompösen Kleidern und Pappmützen! Und dieses ekelerregende Kreuz! Rote Lederschuhe, Hermelinwintermütze, goldener Ring, brilliantbesetztes Kreuz, was noch? Diese Pimmellutscher! Hab ich nicht recht? Ekelerregend! Hören Sie mir auf davon!
Es sind nicht wenige, die so reden. Sie ereifern sich. Sie hätten sich etwas Besseres gewünscht. Sie sagen, da ist etwas grundlegend falsch. Da ist ein Wurm im Gebälk, ein Jahrhundertwurm. Das Lügengebäude kann jeden Moment über uns zusammenbrechen. Besser, rechtzeitig das Weite suchen. Ich weine diesem Verein keine Träne nach. Ich kann mich nur über mich selbst wundern, so lange ausgehalten zu haben.
Ja, es ist bitter, liebe Leserinnen und Leser. Es gibt geistliche Schwestern, die werden pensioniert. Am Tag ihrer Pensionierung treten sie aus dem Kloster aus. Es gibt noch andere, radikalere: Sie treten in jungen Jahren aus dem Kloster aus und gleich dazu auch noch aus der Kirche. Da läuft doch etwas grundlegend schief. Und über allem der diskrete Mantel des Stillschweigens. Wird totgeschwiegen. Hat nie stattgefunden.
Ein junger Mann sagte mir vor vier Jahren, die Kirche ist die größte Verbrecherorganisation auf Gottes Erdball. Ja, so drückte er sich aus. Eine Woche später brachte er sich um. Ich war geschockt und machte mir Vorwürfe.
Karol Wojtyła hatte doch wohl einen Einblick in die Slums dieser Welt. Als er Mutter Theresa besuchte, bekannte er, von den Zuständen tief gerührt, tatsächlich spontan: „Eigentlich müßte ich hier arbeiten!“ Worauf ihm die Albanerin erwiderte: „Eure Heiligkeit, Ihr Platz ist im Vatikan und der meine ist hier. So hat es Gott gewollt. Und außerdem, wenn Sie hier mitarbeiten wollen, hätten Sie viel früher hierherkommen müssen. Als frisch Gefangener hält man das hier nicht aus.“ Und Wojtyła strubbelte ihr wieder durchs Haar (so oder ähnlich).
Die eine Szene geht mir nicht aus dem Kopf: Mittwochvormittag, allwöchentliche Generalaudienz am Petersplatz, 10 Uhr Vormittag. Wojtyła steht an seinem Fenster. Da kommt eine weiße Taube geflogen und nimmt auf seinem Kopf Platz. Will Platz nehmen. Wojtyła erschrickt und duckt sich weg, greift instinktiv nach seinem weißen Käppi. Der Heilige Geist erwischte ihn auf dem falschen Fuß. Damit war der gute nicht allein. Bleibt ein Trost: Gott ist barmherzig, sogar in dieser Mörderhitze. Danke.
Demut vor Gott, Demut vor den Mitmenschen
Nochmaliger Zuruf an Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld
Ein Zyklus ist zu Ende gegangen, der Herbstzyklus, diesmal ausschließlich in Österreich. Nächtliche Gebete zum Heil, zur Rettung. Danke an alle.
Seit drei Jahren versuchte ich einen Herrn anzurufen, der mir lapidar geschrieben hatte: „Wenn Sie wieder in Österreich sind, rufen Sie mich an.“ Allein, er ging nicht ans Telefon. Er war nicht da. Ich hatte ihm nach dem ersten Brief einen zweiten geschrieben, über den großen Teich hinweg. Der kam postwendend zurück, ungeöffnet. Ich war düpiert. Wie das? Er wird doch wohl nicht zwischenzeitlich das Zeitige gesegnet haben? Oder ist er verzogen? „Nein“, sagte da eine Stimme, „das, was Du da hineingeschrieben hast, ist für ihn nicht von Relevanz. Er hat Dir doch gesagt, „Ruf‘ ihn an, wenn Du wieder zurück bist.“ Das ist typisch für Dich. Du bist ein Hudler und bildest Dir ein, ihm einen kraftlosen, halbverlogenen Brief auf’s Auge drücken zu müssen. Du Selbststilisierer!“ Ja, so sprach Mutter Ayahuasca deutlich.
Also rief ich in Stift Geras an. Der dortige Rezeptionist mußte schmunzeln, ich konnte es durch die Leitung sehen. „Ja, Professor Wucherer ist noch am Leben, ich habe bisher nichts Gegenteiliges vermeldet bekommen.“ Also, warum geht er nicht ans Telefon? Schlußendlich rufe ich ihn doch mitten aus dem Sturm an, bangen Herzens, mit schlotternden Knien wie jemand, der die Privatnummer des Papstes gewählt hat! Draußen, vor der Telefonzentrale, lautstarke Protestmärsche, der Höllenlärm der Motokars, der Staub, die Hitze. Ein andermal ein Wolkenbruch. Der Ruf geht durch, es tutet. Ich stehe auf Kohlen, doch er hebt nicht ab.
Dann, es ist Allerheiligen, vor nicht mehr als drei Tagen, ich liege noch im Bett, in Steinwurfweite zum Stift Klosterneuburg, diesem imperialen Schloß, und weiß, heute gehe ich um 18 Uhr in seine Messe, St.Josef zu Margarethen, Schönbrunnerstrasse 52, Wien 4., das ist definitiv, auch wenn es mitten in der Konferenz ist. Das ist definitiv. Wer weiß, ob ich ihn noch einmal sehen werde, lebendig. Der Sog ist überstark. Es ist 7.30 Uhr, ich habe gerade mal sieben Stunden geschlafen, für ein Murmeltier wie mich herzlich wenig, und räkle mich noch im frisch duftenden Bett. Da kommt die Stimme der Muttergottes: „Ruf ihn an!“ Ein Befehl. Augenblicklich fällt mir das Herz in die Hose. Ernster Befehl. Kann nicht verharmlost werden. Kann mich nicht drücken. Ich habe seine Nummer seit drei Jahren eingespeichert. Drei Wischer, Tipp, es tutet ein Mal, er hebt ab: „Wucherer“. Sanfte Stimme. Mein Text ist seit Jahren vorbereitet, ein gut vorbereiteter Text. Er sprudelt aus mir heraus. Er nimmt es gewogen, mit väterlichem Verständnis. Er hat zwar eine Geburtstagsfeier, aber ein kurzer Abstecher zum Wirten geht sich aus. Fertig. Ich kann es nicht fassen. Es ist klar, er saß bereits wieder am Schreibtisch. Wenn man so viel wie er noch schreiben will, ja noch zu schreiben hat, darf der Schlaf kürzer treten. Wer weiß, seit wann er schon wieder am Schreibtisch saß. Wie auch immer, Lukas bringt mich nach Heiligenstadt, von dort, Karl-Marx-Hof, fahre ich mit der U4 zur Pilgramgasse. Es ist weit vor der Zeit. Eigentlich hätte ich Hunger und dieser Allerheiligennachmittag dringt mir kalt in die Knochen, doch je länger ich im Sechsten herumirre, in meinem alten Grätzel, umso mehr verirre ich mich im Niemandsland, das ich zehn Jahre lang nie begangen habe. Schlußendlich erscheint der Hunger läppisch. Ich stehe vor einer Jahrhundertbegegnung und zerbreche mir den Kopf, ob es hier nicht in der Nähe einen Qualitätswürstelstand gibt. So ist das mit sturen Katholiken. Sie erinnern sich, was man ihnen in der Kindheit eingebläut hat. „Vorher nichts essen!“ Wie bei Ayahuasca. Kommt mir bekannt vor. Vor der Kommunion eine Stunde lang nichts essen. Wär‘ doch gelacht, wenn ich das nicht schaffe! Die Kirche ist bereits offen und geheizt. Oh welche Wonne. Ich sitze hinten bei den Kerzen. Das Kirchenschiff ist mit einem Gitter abgesperrt. Macht nichts. Die kleinen Lichtlein wärmen auch und ich hab‘ jemanden, für den ich beten und ein Kerzlein anzünden muß. Das bange Herz beruhigt sich ein wenig. Dann kommt die Meßnerin, eine rüstige Marie, und sperrt auf. Ich geh‘ gleich nach vorne, in die erste Bank, sie ist geheizt, oh welche Wonne, und versinke in Ruhe. Die Ruhe ist so tief, daß ich nicht merke, wie sich die bescheidene, nicht überladene Kirche füllt. Es gibt mehrere Meßdiener, Paare, Ehepaare. Viertel vor Sechs, er kommt aus der Sakristei, spricht eine Frau an, die ihn umarmt und küßt, und geht an mir vorbei, mit einem ostentativen Blick des Nicht-Erkennens. Schon wieder versetzt er mich! Er hat seinen persönlichen Beichtstuhl, in dem er verschwindet. Schon wieder meldet sich Mutter Ayahuasca: „Was gaffst Du ihm hinterher? Du hast schon recht gesehen, er sitzt im Beichtstuhl. Warum wohl? Also bitte, fang ja nicht an zu leugnen, was Du in mir gesehen hast. Du hast es nur allzu deutlich gesehen. Du hat es zwar hinter der Karlskirche gesehen, in seiner Wohnung, doch jetzt sitzen wir hier. Schau dir nur seinen Beichtstuhl an, eine Kapelle. Stimmst Du mir nicht zu? Also, was gibt es auszuräumen? Was ist der Rest? Deine ausufernden Gewaltphantasien. Willst Du es nicht an den Mann bringen? Hör mal, was züchtest Du da für Spontanskrupel? Die kleine Theresa hat jede Woche gebeichtet, jede Woche! Also bitte, grad vor vier Tagen hast du dich bei deinem Hund entschuldigt für den Machetenhieb, weil du erkannt hast, daß der alte Erpel der Bösewicht war, der die Hunde bis aufs Blut reizt, und nicht umgekehrt, und du Mordbube mußtest mordlüstern zur Machete greifen, verstehst du, ich kann es dir nicht ersparen, die Wahrheit hat ein verstecktes Gesicht, und die Beichte darf doch auch in zwei Etappen erfolgen. Du mußt verstehen, was Generalreinigung bedeutet, und erinnere dich bitte, was der junge Pablo, der Shipibo, zu dir sagte: „Du warst wirklich schlimm dran, doch jetzt bist du wieder in Ordnung.“ Er war wegen deines Gebrülls beunruhigt. Gut, er ist erst dreißig, aber er hat mehr Zeit in Diät verbracht als du und ist feinsinniger als du. Sei nicht ungerecht. Er bemüht sich. Er ist durch die Schule seines Großvaters gegangen. Du trägst noch einen Restzweifel in dir. Den kannst du jetzt ausräumen. Wer wagt, gewinnt.“ Es ist Zehn vor Sechs, ich stehe auf und gehe in die Kapelle. Er sitzt im Scheinwerferlicht, schlägt das Kreuz vor mir. Ich nenne ihn „ehrwürdiger Vater“ und lege los. Er weiß, die Zeit drängt. Die Glocken beginnen bereits zu läuten und er weist in seiner Erklärung darauf hin. Er gibt mir eine psychologische Erklärung. Er wirft sie mir direkt an den Kopf. Er sagt: „Sie verdammen sich selbst. Dazu besteht kein Grund. Gott liebt uns mehr als wir jemals dazu fähig sind. Er kennt uns bis ins tiefste. Er weiß bereits alles.“ Der Beichtvater weint. Die Tränen fließen ihm ungehemmt über die Wangen. Heiliger Moment. Der heiligste meines Lebens. „Sie sind nur für sich selbst verantwortlich, nicht für Ihre Frau. Ihre Kinder sind in Gottes Hand. Wenn Sie den Zorn spüren, lassen Sie ihn fallen, wie einen Tennisball. Versuchung ist keine Sünde.“ Und er erteilt mir die Absolution. Wir sind bereits zehn Minuten über der Zeit, doch keiner regt sich auf. Keiner stiert uns an. Er liest die Messe, die Allerheiligenmesse. Als Evangelium die Bergpredigt, die Seligsprechungen. Vor mir auf der Kirchenbank liegt Romano Guardini, „Der Herr“. Bergpredigt, gleichfalls. Dann geht der Heilige in die Predigt, im alten Stil. Das Kirchevolk lacht bei seinen Pointen und schmunzelt. Das ist eine Gemeinde. Sie hat ihren Vater. Sankt Josef zu Margarethen.
Ja, und dann gingen wir zum Italiener, zu viert, und ich saß neben ihm, neben dem heiligen Mann, der zeitweise wieder weinte. Er sagte es ganz lapidar. „Natürlich ist philosophische Theologie Mystik.“ Wir hätten Stoff gehabt für drei Stunden, doch wir hatten nur eine halbe. Er bezahlte. Der 50-Euro-Schein, den er theatralisch, als er ihn neben seinen Ausweisen aus der Innentasche herausfischte, als seine Geheimreserve bezeichnet hatte, dematerialisierte sich vor meinen Augen, er war einfach weg. „Da lag gerade ein 50-Euro-Schein, haben Sie eine Ahnung, wo er hingekommen ist?“ Ich blicke auf den Boden, er liegt beim Tischbein.
In der Predigt hatte er es auf den Punkt gebracht. „Die Mormonen bezeichnen sich als die Heiligen der letzten Tage. Warum bezeichnen wir uns nicht auch so? Der Herr hat uns aufgefordert, unser Leben zu heiligen, indem wir ihm nachfolgen.“
Ja, die Demut.
Wie sagen Carmela und Hermelinda zu Carlos Castaneda bei ihrer denkwürdigen ersten Begegnung am Morgen in ihrer Stadt, nachdem sich Vincente Medrano zu ihnen hinzugesellt hatte? „Man muß ganz demütig sein.“ Demut der Zauberer. Demut der Gottesdiener.
Johannes
„Petrus wandte sich um und sah, wie der Jünger, den Jesus liebte, (diesem) folgte. Es war der Jünger, der sich bei jenem Mahl an die Brust Jesu gelehnt und ihn gefragt hatte: Herr, wer ist es, der dich verraten wird? Als Petrus diesen Jünger sah, fragte er Jesus: Herr, was wird denn mit ihm? Jesus antwortete ihm: Wenn ich will, dass er bis zu meinem Kommen bleibt, was geht das dich an? Du aber folge mir nach! Da verbreitete sich unter den Brüdern die Meinung: Jener Jünger stirbt nicht. Doch Jesus hatte zu Petrus nicht gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bis zu meinem Kommen bleibt, was geht das dich an? Dieser Jünger ist es, der all das bezeugt und der es aufgeschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.“
– (Joh 21,20–24)
„In den vier Evangelien oder vielmehr in den vier Büchern eines Evangeliums hat der heilige Apostel und Evangelist Johannes, welcher gemäß seiner geistigen Erkenntnis dem Adler verglichen wird, höher und weit erhabener als die anderen drei seine Verkündigung erhoben und dadurch auch uns erheben wollen. Denn die drei übrigen Evangelisten sind gleichsam mit dem Gottmenschen auf der Erde gewandelt und haben von seiner Gottheit weniger gesagt; dieser aber, gleichsam als verschmähte er es auf der Erde zu wandeln, hat sich, wie er gleich am Anfange seines Evangeliums gedonnert, nicht nur über die Erde erhoben, sondern auch über das ganze Heer der Engel etc., und ist zu dem gekommen, durch den alles gemacht ist, indem er spricht: ›Im Anfang war das Wort‹. Das floss aus seinem Munde, was er getrunken; denn nicht ohne Grund wird von ihm in diesem Evangelium gesagt, dass er beim Abendmahl an der Brust des Herrn lag. Aus dieser Brust hat er daher im Geheimen getrunken; aber was er im Geheimen getrunken, das hat er offenbar ausgeströmt.“
– Augustinus
Für manch einen aus meiner Sippe zählt dieser Zeuge zu den maßgebenden, und es ist jetzt reife Zeit, von ihm zu schreiben. Er ist von Belang für das eigene Leben. Von weitgehendem Belang. Wir könnten sagen, in jenem Sinne, wie ihn der oben zitierte Kirchenvater Augustinus meint, und wie er von einem lebendigen Heiligen in Wien IV., Nachfahre des Kirchenvaters, jüngst wieder aufgegriffen wurde.
Johannes, der Evangelist. Jener, der nicht den Märtyrertod starb, sondern in Ephesos entschlief, etwa um 101 nach Christus, dort, wo über der als Grab des Evangelisten geltenden Stätte Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin des Großen, eine Kirche errichten ließ, die dann Kaiser Justinian durch einen monumentalen Prachtbau ersetzte. Die Reste der Johanneskirche können noch heute besichtigt werden. Johannes wurde demnach etwa 88 Jahre alt. Er begegnete dem Herrn, als er 17 war, zusammen mit seinem Bruder, Jakobus dem Älteren. Johannes und sein Bruder waren Heißsporne. Der Herr gab ihnen deshalb den Namen „Donnersöhne“ („Boanegres“, das ist Aramäisch). Sie waren die Söhne des Zebedäus und werden deshalb an mehreren Stellen als solche tituliert. Sie gehörten neben Petrus und Andreas zu den Erstberufen und waren so von Anfang an dabei, praktisch unmittelbar nach der Taufe im Jordan.
Mit 17 war man im Altertum bereits erwachsen und hatte Frau und Kind. Nicht so Johannes. Er bleibt trotz seines aufbrausenden Gemütes durch die Evangelien hindurch von kindlicher Zuneigung zu seinem Meister. Er war der letzte Apostel, der sterben sollte. Sein Bruder Jakobus, unter Herodes Agrippa I. um 44 nach Christus mit dem Schwert hingerichtet, war der erste der Zwölf. Die Söhne des Zebedäus bildeten so die Klammer für die Zwölf. Die Klammer der Nachfolge.
Neben dem Evangelium gilt Johannes als der Verfasser der beiden Briefe sowie der Apokalypse. Letzteres wird heute von der historisch-kritischen Forschung in Abrede gestellt. Wir werden das hier und heute nicht beantworten können, wenn überhaupt. Dennoch ist mir gerade die Apokalypse Anlaß, um über den Evangelisten zu schreiben. Ich bewundere den Verfasser dieses Werkes. Vielleicht wurde er von Johannes inspiriert. Die kritische Forschung geht in ihrer Anzweifelung von stilistischen und formellen Kriterien der Christusauffassung aus, die für mich jedoch zweitrangig sind, wenn überhaupt von Belang. Es geht mir hier um etwas Anderes: Den Druck, diese Gottesvision auszuhalten. Das, wenn ich es mir vor Augen halte, muß ein gigantischer Druck sondergleichen gewesen sein. Damals, in jener Grotte auf Patmos, die heute von den Orthodoxen als Heiligtum angesehen wird. Wohl zu Recht. Ein gigantischer Druck, wie ihn nur ein Heiliger auszuhalten vermag. Jeden anderen hätte dieser Druck augenblicklich zermalmt. Die Vision der Apokalypse: Kein Horrortrip. Keine Lügengeschichte wie die tausenden der antiken wie der modernen Esoterik. Eine Himmelseröffnung von niederschlagender Wucht, unendlich ehrfurchtgebietend, wenn man sie sieht. Sie mit jeder Faser seines Lebens fühlt, sie spürt. Unvergleichlich schlimmer als die Pfingst-Ekstase, als Gott sich auf die Jünger herabsenkte und sie in Zungen zu reden begannen (so wie Pater Pio 1900 Jahre später).
Nur ein Heiliger ist fähig, diesen Druck auszuhalten, zu verbildlichen und schlußendlich zur Sprache zu bringen. Das, so meine ich, ist ein Argument für johanneische Autorenschaft. Ein Eremit in seiner Höhle, an seinem Lebensabend. Ein Heiliger, der immer mehr drüben als hüben war. Einer, der, mehr als jeder andere, die Gottessohnschaft des Nazaräners zur Sprache brachte. Dieser Mann war sich der Implikationen seiner Schriften bewußt. Er schrieb im Geiste. Er war erleuchtet. Er war göttlich inspiriert. Er sah die Herrlichkeit. Eine existenzerfüllende, allmächtige, unendliche Herrlichkeit. Und er hielt sie aus. Deshalb nannte der Herr sie die „Donnersöhne“. Er bereitete die beiden auf alles Weitere vor. Den einen, den älteren, auf sein Leiden und seine Wanderschaft, auf seine Liebe zu Spanien. Die Spanier lieben Jakobus. Zu Recht. Und den anderen bereitete er sanft vor, in Etappen, bis zum letzten Atemzug, und sogleich wieder nach der Auferstehung. Kirchenvater Augustinus formuliert es weise. Der Evangelist wurde als Jüngling gesäugt. Dann, im Alter, strömten die Worte aus seinem Mund. Aus seinem Herzen. Das, was er schrieb, geht über alle Dinge hinaus. Wer, wenn nicht er, hat das letzte Wort?
Gedenken
Heute, am 25.Mai 2021, jährt sich zum 134.Mal der Geburtstag dieses Heiligen, den manche verehren und ihn sogar um Heilung bitten, und Andere nicht kennen. Das, obwohl einer der zahlreichen nationalen Heiligen Italiens, möge nicht als Unbill gelten, erst recht nicht für jene, die der Kirche oder dem christlichen Glauben fern (oder etwas ferner) stehen. Der Heilige starb in jenem unruhigen, von Protesten gegen Krieg und Establishment geprägten Jahr 1968, am 23.September, in seinem Kloster, San Giovanni Rotondo, damals idyllisch am Fuß der Abruzzen gelegen. Damals, das waren die 50er-Jahre, als alles noch von Aufbruch gezeichnet war, von Neubeginn. Von damals auch die ersten Filmaufnahmen. Der Padre, wie er am Abend, vor dem Zu-Bett-Gehen, noch bei Tageslicht, mit einem weißen Taschentuch vom kleinen Fenster aus der versammelten Menge der Gläubigen unten am Vorplatz zuwinkt. Damals war der Glaube noch lebendig und die Kirchen voll. Kein Wunder: die Menschen spürten ganz genau, daß sie hier einen Ekstatiker bei sich hatten. Sie küßten ihm reihenweise die Hand oder versuchten es zumindest. Er hörte zeitweilig 14 Stunden lang die Beichte. Das Beichte Hören geschah bei ihm im Schnellverfahren, hinter einem verschiebbaren Vorhang, nicht in einer hölzernen, engen Zelle. Wir können von etwa 15 bis 20 Gläubigen pro Stunde ausgehen. Knapp die Hälfte der Beichtwilligen schmiß er stante pede wieder hinaus. „Komm in einem Jahr wieder, wenn du weißt, was Reue ist!“ In einem Jahr! Also nicht nächste Woche oder in 14 Tagen. Er übte keinen Zwang aus. Etwas wirkte durch ihn. Einmal, an einem lauen, stillen, verträumten Sommernachmittag, als alles mucksmäuschenstill dalag, kam sogar der Teufel in sein Vorhanggeviert, als eleganter italienischer Gigolo. Ein privates Treffen. Der Padre roch den Braten nach gewisser Zeit, noch rechtzeitig. Pater Pio äußerte sich nicht weiter zu der Begegnung. Sie war eine Prüfung. Das war sein generelles Verständnis von allem, was ihm zustieß. Der Beelzebub war sein Intimfeind. Allerdings können wir nicht sagen, daß er ihn töten wollte. Das gewaltvolle An-die-Wand-Schleudern war Haß, Tollwut. Zuweilen, so der Padre, geschah es in Anwesenheit Christi und der Gottesmutter. Seine Reaktion: „Was muß ich nur für ein Sünder sein, daß der Herr dem Bösewicht diese Freiheit gewährt…“ Die Vorstellung Pater Pios als Sünder wirkt in diesem Zusammenhang wohl unpassend, stimmt aber jedenfalls nachdenklich. Was wäre die Verfehlung Pios gewesen? Vielleicht Jähzorn. Das verstünde ich sehr wohl und leicht. Mea culpa. Die mystischen Einsichten des Paters verstören viele. Verständlich. Für ihn war das Leben auf Erden eine Prüfung, eine Art Fegefeuer bereits zu Lebzeiten, oder vielleicht sogar schlimmer, Zustände der Hölle. Das Leben auf Erden als ein Warten auf den Tod inmitten von Teufeln zu verstehen, ist ein Kraftakt sondergleichen. Es ist nicht Einbildung oder gar Wahn. Irrtum schon gar nicht. Pio blickte zumeist finster, sehr finster sogar, oder zumindest ernst. Die wenigen Male des gnadenvollen Blickes galten den Fotographen. Wir könnten retrospekiv auch sagen, den Biographen. Der Mann war ein Berserker. Zum Glück lebte er eingekerkert, wie ein kampfbereiter Löwe im Altertum. Er reiste nicht in der Gegend herum. Nicht im Auto. Doch auf Flügeln ja, auch wenn er nicht wußte, was mit ihm geschah. Pio hielt alles für möglich, eben, weil er glaubte. Er nahm das Wort Christi „Bei Gott ist alles möglich“ wortwörtlich. Und so war er eben kein Kleingeist. Das nun wirklich nicht. Ein Mann, der hunderte von Kranken wundersam zu heilen vermochte, lebte notwendigerweise in anderen Größenverhältnissen. Wir machen uns davon keine Vorstellung. Es ist leicht gesagt: „Na gut, hatte er eben Besuch vom Teufel, und mag er halt ein paar Besessene in der Kirche am Nachmittag geheilt haben, als man diese zuckend und spuckend hereinbrachte. Normales Exorzistengeschäft. Er brauchte sich nicht zu beschweren.“ Doch dem Erzfeind des Menschen im Beichtstuhl Auge in Auge gegenüberzusitzen, das ist doch wohl starker Tobak. So wie vielleicht dem Alien Ruedi Gigers, des Schweizers, den Ridley Scott für seine Filme zum Vorbild nahm. Einem meschenzerfleischenden Monstrum. („Gibt es das denn nocht heute?“, fragen wir skeptisch, heimlich besserwisserisch. „Ach, der arme, einfältige Pater. Lassen wir ihn einmal beiseite.“ So reden die meisten.)
Heute vor 134 Jahre wurde dieser Heilige, der das Attentat auf den polnischen Papst bereits 1947 sah, in ärmsten Verhältnissen geboren. Er trug 50 Jahre lang die Stigmata des Herrn, inklusive dem punktuell blank liegenden Schlüsselbeinknochen, auf dem das schwere Kantholz des Stammes des Kreuzes, von dem er niemals sprach, gelastet hatte. Diese ständigen Schmerzen. Am Tag nach den zugesicherten fünfzig Jahren, als die Stigmata wundersam verlöschten, über Nacht, starb der Pater in den ersten Stunden des 23.September, im Sitzen, wie er es sich ausbedungen hatte. Und alles Weitere nahm seinen Lauf. Im Folgenden einige Sprüche aus dem Mund des Heiligen, Denkstoff und Nahrung gleichermaßen.
Zitate des Pater Pio
Du wirst so viel haben, wie du erhoffst.
Je mehr du erhoffst, desto mehr wirst du haben.
Das Gebet ist ein mächtiges Werkzeug,
ein Schlüssel, der das Herz Gottes öffnet.
Sucht bei Menschen keinen Trost.
Welchen Trost können sie schon geben?
Geht zum Tabernakel, schüttet dort euer Herz aus.
Dort werdet ihr Trost finden.
Werfe Dich in die Arme der himmlischen Mutter.
Sie wird sich um Deine Seele kümmern.
Die Lüge ist das Kind des Teufels.
Die Demut ist Wahrheit,
und Wahrheit ist Demut.
Die schmerzhafte Mutter sollst du niemals vergessen.
Ihre Schmerzen sollen immer in dein Herz eingegraben sein
und es in Liebe zu ihr und zu ihrem Sohn entflammen!
Welche Bußübung ist Gott wohlgefällig?
Die Reue über unsere Sünden!
Wir sollen auch unser Kreuz
mit Liebe und Ergebenheit tragen.
Das Kreuz wird euch nicht zermalmen.
Wenn es auch lastet, so gibt es Kraft und hält aufrecht.
Der Teufel ist wie ein wütender Hund an einer Kette;
jenseits der Kette kann man nicht gebissen werden.
Halten Sie sich fern von ihm. Wenn Sie ihm näherkommen,
wird er Sie fassen. Denken Sie daran, dass es für den
Teufel eine einzige Tür gibt, in Ihr Inneres zu gelangen:
Ihren Willen. Heimliche Türen gibt es nicht.
Schaut, alle kommen und wollen von ihrem Kreuz befreit werden;
so wenige kommen und bitten um Kraft, es zu tragen!
Die Versuchungen in unserem Leben kommen vom Teufel,
das Leiden hingegen kommt von Gott und führt zum Paradies.
Verachtet die Versuchungen, aber nehmt die Prüfungen an.
Denken wir an das Leiden und den Tod Unseres Herrn
und an sein Blut, das er für uns vergossen hat.
Dann werden wir uns nicht mehr über unser Leiden beklagen.
Hören wir auf, uns um die Dinge Gedanken zu machen,
mit denen Gott unsere Treue erprobt. Wir sollen
wenigstens seinem Willen vertrauen. Jesus wird uns befreien,
trösten und ermutigen, wann es ihm beliebt.
Wir wollen die heiligen Engel sehr verehren.
Gott hat uns ihrer Fürsorge anvertraut.
Seid im Frieden. Gott liebt euch. Könnte doch die arme Welt
die Schönheit einer Seele im Gnadenstand sehen; alle Sünder,
alle Ungläubigen würden sich auf der Stelle bekehren.
Demut und Reinheit sind die Flügel, die bis zu Gott erheben
und vergöttlichen. Denkt wohl daran: Der Übeltäter,
der sich seiner bösen Taten schämt, steht Gott näher
als der Christ, der über seine guten Taten errötet.
Betet, und sei es auch widerwillig. Wer viel betet, wird gerettet;
wer wenig betet, ist gefährdet, und wer nicht betet, wird verdammt.
Der Wille zählt und wird belohnt, nicht das Gefühl.
Maria möge Deine Seele mit dem Duft immer neuer Tugenden
durchtränken und ihre mütterliche Hand auf Dein Haupt legen.
Wie viele und große Lehren gehen von der Krippe in Bethlehem aus!
O welch’ glühende Liebe muss das Herz für den empfinden,
der für uns ganz zart und klein geworden ist!
Bitten wir das Göttliche Kind, es möge uns mit Demut erfüllen;
denn allein dank dieser Tugend sind wir imstande,
dieses Geheimnis göttlicher Zärtlichkeit und Menschenfreundlichkeit
zu erfassen und zu genießen.
Glaubt ihr nicht, dass ich nach dem Tode noch mehr
für euch tun könnte? Ich werde nach meinem Tode
mehr Lärm machen, als während meines Lebens!
Der Herr verlässt uns nie, wenn wir ihn nur nicht verlassen,
aber es kann sein, dass er uns zuweilen seine spürbare Nähe verbirgt.
Das ist eine vorübergehende Prüfung, die aufhört, sobald der Herr es will.
Gott ist getreu und lässt sich niemals an Großmut übertreffen.
Je weiter man im geistlichen Leben voranschreitet, desto weniger ermüdet es ja.
Dieses Vorspiel des Himmels gibt sogar Frieden.
In dem Maße, in dem wir uns für Gott öffnen und uns selbst verleugnen,
werden wir glücklich und im Kampf gestärkt.
Eher könnte die Welt ohne Sonne bestehen als ohne das heilige Messopfer.