Oscar und ich schiffen uns auf der „Eduardo 2“ an der finsteren Anlegestelle Tamshiyacus um 22 Uhr ein, ausgestattet mit unseren Haengematten und ein paar Armseligkeiten. 2 Tage den Mara?on hinauf stehen uns bevor, wir wollen einen Heiler besuchen, von dem es heisst, er sei ein echter Hexer. Dringende Dinge stehen an, man hat uns aus Deutschland gebeten.

Die „Eduardo“ ist, neben anderen, eine von 5 namensgleichen Lanchas, die zwischen Iquitos und Yurimaguas verkehren. Sie sind die bequemsten und daher von Reisenden am meisten bevorzugten. Im zelthaften Obergeschoss treffen wir auf eine oesterreichische Delegation, die ins Nationalreservat Pacaya-Samiria unterwegs ist. Einer will ins Hochland, seinem juengeren, diabeteskranken Bruder auf der Spur. Die Lichter sind bereits ausgeschaltet, Abendessen gibt es keines, dafuer den Besuch der Fahrtgeldkassierer. Wir haben einen Prachthimmel erwischt, die Milchstrasse wirkt wie eine Wolke. Naechster Morgen: Wir machen kurzen Landgang in Nauta, um ordentlich Kaffee zu trinken. Den geraeucherten Morgenfisch, den wir ob seiner Groesse bruederlich teilen, ergattern wir bald danach in San Regis. Ansonsten liegen wir in der Haengematte und freuen uns, dass die Toiletteanlagen, die zugleich als Dusche fungieren, begehbar sind.

Auf der Hoehe von Samiria spuert man den Hauch der Wildnis direkt am Ufer. Affenkolonien springen im Morgendunst eifrig herum, Scharen von kreischenden Loros auf der Suche nach Maisfeldern. In der wilden, undurchdringlichen Ca?a spuert man die Boa geradezu auf der Lauer liegen. Oscar erzaehlt, die „Shell“ habe bei ihren Bohrungen auf Bitte der Regionalregierung hin das Ufer geradegesprengt, denn zuviele Lanchas haetten die gigantischen Strudel zuvor verschlungen. Ausserdem befaenden wir uns hier in der Gegend der Geisterschiffe.

Maipuco. Das 1000-Seelen-Dorf wirkt wie eine Villengegend. Alle Haeuser stehen frei, gepflegte Blumengaerten, eine absolute Raritaet. Daneben ausgedehnte Platanales, direkt am betonierten Wegrand. Niemand stiehlt. In Tamshiyacu undenkbar. Der Hauptplatz freilich eine Tristesse. Der Buergermeister hat sich mitten unter den Bauarbeiten mit 100.000,- Soles aus dem Staub gemacht. Der Schandfleck aus rostfarbenen Betonbaenken und hochgrasigen Rondells samt einer herumstehenden Mischmaschine hat ihm schnell den Namen „Friedhof von Maipuco“ eingetragen. Nur der immerfort quakende Sendemasten vor dem Municipio vermittelt das gewohnte Bild der in Peru so beliebten oeffentlichen Zwangsbeschallung. Unser Restaurant steht noch ohne Waende, die Bewohner sind vor kurzem vom Ufer weg hierher gefluechtet, der Fluss frisst sich am Hafen ins Land. Ein gezeichneter Epilepsiekranker vertilgt andaechtig sein Mahl. Ein Kind schiebt ein scheinbar behindertes anderes Kind, das seinen Kopf verdreht zum Himmel gewendet haelt, in einer Gehschule, deren blockierende Raeder ueber den verstreuten Kies scharren.

Der Meister wohnt weit ausserhalb in stechmueckenverseuchten Mangroven. Wir besuchen ihn mit dem Boot. Er begruesst uns zuvorkommend, ja charmant. Seltsamerweise pflueckt er die Widerlinge, die auf seinem nackten Oberkoerper aufsitzen, wie Zecken ab. Sie fliegen nicht weg, selbst die geisterhaften, so schmerzhaften Tabanos, von denen man sagt, sie seien die Wiedergeburten herzhaesslicher Menschen. Er erzaehlt uns Besuchern von der Welt der Bufeos. Die Delfine sind in ihrer Welt Gringos, die mit Dollars bezahlen. Es gaebe dort aber keine Gestirne. Wir bleiben wie auf ein Zeichen weiter stehen, das aufgepflockte Holzhaus boete, wie man ersehen kann, nur Unordnung und Armut. Die Einheimischen, erfreut, seinen Schauergeschichten ueber Untote entrinnen zu koennen, machen sich ueber ekelhaft anzusehende Schlammfische her, die bereits gekocht und eingesalzen in einem Topf warten. Dann geht es im Kanu durch das Dickicht zurueck. Die Bordwand ragt nur Zentimeter ueber den Wasserspiegel.

Die Nacht wird gespensterhaft. Auf der Toilette der Hospedaje stolpere ich im Schein meines glimmenden Feuerzeuglaempchens ueber zwei Homosexuelle, oder sind es Bufeos? Die Ueberraschung laesst aufkommende Angst gar nicht erst zu. Gut, dass die Zimmertuer einen Riegel hat.

Am naechsten Tag die Lehrerin, die wegen ihres Berufes zwei Jahre von ihrer 4-koepfigen Familie getrennt leben muss. Sie kennt Buefeogeschichten vom eigenen Leib, schlimmer als ein Albtraum. Ihrer besten Freundin erging es noch schlimmer, der Uebeltaeter war nach seinem Sudelschandwerk bereits auf der Flucht, als ihn der Schuss des uebervorsichtigen Ehemannes, eines Jaegers, der den Erzaehlungen seiner Frau Glauben geschenkt und sie nicht des Ehebruchs bezichtigt hatte, einholte, ein Klatschen auf das Wasser, am naechsten Tag, ein paar hundert Meter stromabwaerts, ein ausgewachsener, erschossener Delfin auf der Lehmbank.

Der Funk haelt schlechte Nachrichten parat. Der naechste „Eduardo“ faehrt einen Tag spaeter ab, keine Fracht. Es kommt vorher die „Linares“ mit der havarierenden „Mariecarmen“ im Schlepptau. Der Hilferuf von Zuhause, wo sie auch alle krankliegen, laesst uns das Abenteuer wagen. Der ausgestreckte Bug ist bereits mit Tonnen von Bananen beladen, die Maipuce?os bleiben auf ihren Unmengen sitzen, hoffen, dass sie wenigstens morgen von ihrer Ware loskommen. Der Geruch von ein paar Dutzend zusammengepferchten Rindern huellt uns schnell ein, vor ihrer Schlachtung in Iquitos durchleben sie ein 4-taegiges Martyrium. So ist es immer, wird Do?a Eugenia danach zuhause sagen. Das zum Fruehstueck und zu Mittag gereichte Fleisch aus einem der 3 notgeschlachteten Kreaturen will nicht recht munden, vielleicht sollte man doch ein bisschen konsequenter sein. So wie vielleicht Peter Handke, dessen Lektuere in den reichlichen Stunden so viel Dankbares auferstehen hat lassen. Die zweite Nacht hat uns bereits eingehuellt, als wir unser Geisterschiff in einem Beiboot verlassen. Die restlichen Passagiere, die sich mit amerikanischen Gruselfilmen und einem Porno unterhalten, zollen uns keines Blickes. Oscar, die ganzen fructalen Mitbringsel schleppend, noch immer so selbstverstaendlich um mich bemueht.

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