Das fahrende Volk der Gaukler, „Die Gaukler kommen!“ Seit den Zeiten Roms schallt der Ruf der Gassenjungen, die die Strassen der Innenstadt heraufjagen, von den Waenden. Der Argwohn begleitet oft die Neugier. Vor den Burgmauern errichteten sie ihre Zeltstadt und ihre Buehnen. Mysterienspiele fuehrten sie auf, mit Gott und Teufel, – Pech, Blitz und Schwefel. Spaeter kamen die Tiere hinzu, die Exotik.

Die grossen Zirkusse, wo sind sie geblieben? Das fahrende Volk? Auf Zuegen und hinter Lastwaegen, zeitweise sogar auf Dampfschiffen. Welch ein Unterfangen! Heimatlose Artisten in ihren Wohnwaegen. Schlangenfrauen, Messerwerfer, Dompteure, Clowns, Rollschuhfahrer, Trommler, Trompeter, Tambouristen. Zirkusarbeiter, Kassierer, Suessigkeitenverkaeufer. Gelenkeverrenker, Gummimenschen, und zu guter letzt die „fliegenden Menschen“: Der Kanonenmensch und die Trapezkuenstler.

Hans-Juergen Baeumler und Kirk Douglas verkoerperten sie. Hommagen an eine vergangene Zeit. Zum Hoehepunkt setzen sie an, dem dreifachen Salto. Ein Kunststueck, das nicht immer gelingt. Oft war der Vater der Faenger. Wie ein Metronom musste er pendeln zum Stakkato-Trommelschlag des Orchestermusikers unten, gleichmaessig, in seinen Kniekehlen eingehaengt. Der Flieger musste abspringen, maximale Geschwindigkeit erreichen bei den abgezaehlten Schwuengen, er musste losslassen von seinem Trapez und hinauffliegen, unter die Zirkuskuppel, und von dort gab es nur mehr die ausgestreckten Haende des Faengers, – oder das Netz und die Enttauschungsrufe des Publikums.

Salto mortale, wie lieb ich dich. Unter mir der Abgrund und doch mag ich springen. Stoisch pendelt Kirk Douglas unten, unzaehlige Male hat er es getan, jeden Tag, hat uns gut zugerufen und Mut gemacht. Von klein auf haben wir gelernt, zuerst, wie man richtig ins Netz faellt, spaeter der einfache Salto, dann der zweifache. Langsam wuchs unser Mut.

Der Salto mortale wird uns nur gelingen im Gleichmut und Selbstbewusstsein. So wie den Turmspringern, die aus dem Handstand in die Tiefe jagen, Zentimeter an der Kante der Plattform vorbei. Der Salto, den sie anstreben, dort oben unter der Kuppel, er wird sie wieder einmal der Menge entheben, denn sie hoeren nichts mehr. Die kleinste Bewegung zaehlt. Es geht um Zentimeter. Der Faenger bleibt stoisch, wie ein Metronom, er kann nichts Anderes tun, als warten und seine Arme im letzten Bruchteil wachsen lassen, ehe die Haende von uns, den Kindern, auf seine Arme oder Handfesseln, die einbandagierten, klatschen.

Salto mortale, allein. Allein aufbrechen im Dingi, hinaus in die Weiten des Atlantiks.

Salto mortale, allein. Hermann Buhl am Nanga Parbat. Eine Nacht im Stehen.

Salto mortale, allein. Am Fluss des Ganges, taub. Das Licht der Sonne bricht sich tausendfach, die Kinder johlen und kreischen. Alte baden sich, vielleicht haben sie nur mehr wenige Stunden zu leben.

Salto mortale, ich hab ihn gesehen. Draussen das Gedraenge, die Kinder erzaehlen. Die Autos hupen, jemand liegt auf der Strasse.

Salto mortale, in einem Augenblick. Im letzten, wenn ich loslasse. All meine Lieben, sie bleiben zurueck. Wir versuchen das unmoegliche Manoever. Den lebenslangen Traum. Wir lassen los, schnellen empor unter die Kuppel. Der Faenger im Roggen, ein Leben hat er auf uns gewartet. In seine Arme werfen wir uns und er schleudert uns ans andere Ufer. Wir blicken uns um, ja, wir duerfen es. Drueben steht der Schnitter und beginnt mit seiner Arbeit. Das Feld, das volle, das reife, es wird abgeerntet.

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