Wo wird er sich jetzt gerade herumtreiben, Toni, mein Freund, den ich so lange schon nicht mehr gesehen habe. Beim letzten Mal verabschiedete er sich stilgerecht, aber bestimmt, wie es nun mal seine Art ist. Er wolle Grundsatzstudien in Pucallpa und vielleicht noch im Hochland anstellen. Er koenne seine Zeit nicht mehr vergeuden, seine Lebenszeit sei zu kostbar. Und dann war Funkstille. Ich konnte ihn nicht halten, auch nicht ueber Reminiszenzen aus der Welt des Schachs. Toni war ein bemerkenswerter Schachspieler und hatte das Zeug zu mehr, doch ein noch grundlegenderes Interesse machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Toni – zum Glueck! – ist ein Wahrheitsfanatiker der besonderen Art. Er wird niemals ausfaellig, aber wenn er mit jemandem bricht, dann endgueltig. Und er brach mit Agustin, der es sich mit ihm verscherzte. Das ist bei Agustin nichts Neues, denn Trennungen pflastern seinen Weg (wie bei jedem von uns) – Jaya Bear, Charles Lawrence, Betsy Grobecker, Eugen, Cornelia und einige andere mehr -, aber mit Toni war es doch etwas Besonderes. Wie sehr hatte er den alten Hexer mit grosszuegigen Spenden bei Laune gehalten. Aber bei Agustin gilt das Sprichwort „Wes Brot ich ess, dess‘ Lied ich sing‘ “ nicht. Agustin spuckt auf das Geld, das er mit gierigem Blick einheimst. Dieser Blick ist nur ein Schauspiel fuer uns. Er will uns an der Gier packen.
Toni war, wenn ich’s bedenke, einer der ganz Wenigen, die die Gier nicht kannten. Gut, man haette sagen koennen, was der in sich hineinstuerzt, das ist ja nicht normal, und es stimmt wohl, Toni ist der Mega-Ayahuascero unter uns. Er kippt die „Mutter“ im Viertelliterglas hinunter, und es ist immer die Megakonzentration. Aber er ist nicht gierig. Er will nur wissen, woran er wirklich ist. Er will die Wirklichkeit kennenlernen. „Ich bin doch nur ein Verblendeter wie alle anderen auch. Was bleibt mir da Anderes uebrig als um die Wahrheit zu kaempfen, und zwar so, dass selbst ein Hornochse wie ich, wenn er am Boden liegt, sagen muss, ja, jetzt hat meine Stunde geschlagen.“ Und deshalb bat er immer um Medizin, die ihn umwarf. Als er die in Yushintaita nicht mehr fand, fing er selbst zu brauen an, spaeter ging er nach Pucallpa. Die Pucallpeños hueten ein Geheimnis, so wie Agustin, der sich immer noch mehr wie einer von ihnen als wie ein Tamshiyaceño fuehlt. Hin und wieder bringt er einen Brau aus der wilden Stadt mit und dann geht der Salon unisono zu Boden, mit Ausnahme von Toni eben. Der sitzt da, schwitzt sich eins und kotzt regelgerecht, aber alles lachend, und vor ihm tanzen die Geister. Er liess sich nie umhauen und nie korrumpieren. Seine Hoeflichkeit war nicht aufgesetzt. Seine Freundlichkeit beim Gruss war nicht aufgesetzt. Er gruesste einen mit der Linken, denn eine Rechte hatte er nicht, und er sah einem immer in die Augen. Und er sprach immer Hochsprache, obwohl er in einer Welt des ordinaeren Dialekts grossgeworden war. Er sprach wohlgeziert von Geistern und schaukelte dabei mit dem Kopf. Niemals liess er sich in einen Konflikt verwickeln. Ich sah ihn kein einziges Mal erzuernt, doch dann, als Agustin den Bogen bei ihm ueberspannte, da schrieb er sich die Meinung von der Leber, und Agustins Bogen sprang.
Toni hatte im Laufe seines Lebens ein kleines Vermoegen verloren, manchmal aus Gutmuetigkeit, manchmal, weil er sich zu weit in Barracuda-Gewaesser vorgewagt hatte. Dann kamen sie, die Beute gerochen hatten, maskiert im Schnellboot daher und zwangen ihn und alle uebrigen Passagiere, die Haende zu heben. Das war nach den Erlebnissen in Sao Paulo nur peruanisches Kleingeld. Ich weiss, Toni ist ein Privilegierter. Er wird einmal verschwinden, wie Ché Guevara, und keiner wird glauben, dass es ihn nicht mehr gibt. Toni’s Seele ist unsterblich. Er ist einer von den Reinen, ein Abgesandter. Ich warte auf ihn, auf den Tag, wo er wieder aufstehen wird, auf dieser Erde, und Kunde gibt. Ich weiss, Toni hat viel geweint. Man sieht es in seinen Augen. Sie sind immer waessrig. Toni lebt das Mitgefuehl. Die, die mit ihm naeher zu tun hatten, ich glaube, sie alle schnitten sich rechtzeitig eine Scheibe ab. Und die Tatsache, dass er mit Eugen befreundet war, Eugen, dem Hoffnungsvollsten unter Agustin’s Gastgebern, noch bevor er in Iquitos auf Agustin stiess, zeigt nur, dass er gesegnet war und es bleiben wird, was auch immer er anstellen mag.
Ja, Antonio, Du bist es, der wahre Mc Coy!

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  1. Warum ich Toni sosehr mag

    Toni ist ein waschechter Wiener und doch ganz und gar kein „Weanapatzi“, wie man das im dortigen Dialekt nennt. Er ist der barmherzige Samariter. Das gehört zu Wien, Stichwort „Gruft“, Mariahilferstraße, Obdachlosenasyl, sechster Bezirk, wo jüngst, in diesem Sommer, UHBP aufgekreuzt ist, Dr.Heinz Fischer, die Gallionsfigur der österreichischen Demokratie (zurecht). In Wien muß niemand auf den Strassen winters erfrieren, so wie in New York oder in Denver. Den Sandlern in Wien ist es erlaubt, in aufgelassenen ÖBB-Waggons zu übernachten und in Kiesstreukisten. Und in Wien regt sich niemand auf, wenn einer nach dem Heurigen sich mal auf der Straße, zwischen den Autos oder an einem Laternenmasten, erleichtert, auf die eine oder andere Art. Toni ist ein Paradewiener. Er wird, wenn er sich auf den Straßen zeigt – zu welcher Uhrzeit auch immer – sofort von mehreren „Hawerern“, die nicht gerade in bester Form sind, angegangen: „Heast Oida, host net a poa Grosch’n füa mi?“ Und Toni gibt immer etwas. Er ist das Herz in Person. Er ist der mitfühlendste Mensch, den ich kenne, soviel ist sicher. Ein verkappter Boddhisattva. Er ist mir meilenweit voraus, in allem, so auch im Schachspiel. Toni ist Internationaler Meister. Er hat unter Zoltan Ribli trainiert. Ich hingegen bin eine Reblaus. Toni hat knapp drei Jahre Pflanzendiät hinter sich, in Pucallpa und im Haus seiner Eltern, bei denen er immer noch lebt, friedlich. Damit ist er Weltmeister. Von ihm kann sich jeder meiner schnauzbärtigen, frauenvernaschenden Schwerenöter hier, in einem der unzähligen Armen- und Drogenviertel von Sao Paulo, eine Scheibe abschneiden. Und Toni hat noch nie geprahlt. Prahlen, das liegt ihm ganz und gar nicht, doch Ambitionen hegt er, so wie jeder Mensch. Toni wollte sich seinen fehlenden Arm nachwachsen lassen, durch einen magischen Akt, mithilfe der Kraft der Pflanzen. Er war enttäuscht, als ihm dies nicht gelang, trotz größter, ernsthafter Anstrengungen. Doch Gott sagte ihm zumindest, warum. „Bestimmung“. So wie es auch seine Bestimmung war, am Krebs nicht zu sterben. Toni nahm es demütig hin. Sein Glaube an Gott wankte nie. Dazu hatte er zuviel in den drei Jahren der Diät, den drei Jahren strikten sozialen Rückzugs gelernt, zuviel Unglaubliches gesehen. So gesehen verläuft Tonis Leben unter einem Glücksstern, der ihm die Existenz eines Privatgelehrten erlaubt. Ein wenig vielleicht wie die Profischachspieler aus der Zeit der Monarchie, die ihr Leben in Kaffeehäusern verbrachten und ansonsten in Untermiete wohnten und die dortige Anwesenheit zum ausschließlichen Liegen im Bett oder Hocken am Schachtisch nutzten. Essen war gänzlich nebensächlich. Die Epoche des zweiten 19.Jahrhunderts, eine gänzlich geheimnisumwitterte Zeit mit vielerlei Strebungen. Eine solche Zeit verkörpert mein Freund. Er ist also die unzeitgemäße Erscheinung, deren Anwesenheit ich durch und durch genieße, wohl wissend, wie bemessen die Zeit mit ihr, der Erscheinung, ist. Er ist der Unzeitgemäße. Antonio, der Alien. Ein Fremder aus einem anderen Raum, einer anderen, unbekannten Zeit. Ein Sternenwanderer, ein Sternendeuter. Ein Weiser aus dem Morgenland, langsam sich auf dem Dromedar wiegend und so die Wüste menschlicher Existenz, menschlicher Nichtigkeit durchquerend. Toni ist sozusagen der Luxuswurf der Evolution, „alle Neun“, gekegelt auf einer hölzernen Wirtshausbahn des 19.Jahrhunderts. Mein Gott, was hat der Kerl nicht gelitten in Einsamkeit und Sich-Unverstanden-Fühlen. Ein nobler Eremit, der es sich nicht ansehen läßt, welch Kaliber von Asketen er darstellt. Ja, solche Menschen gibt es. Man kann von Glück reden, wenn das Schicksal einen mit einem solchen Menschen zusammenführt. Diese Menschen, die von sich sagen können, sie sind in der Balance. Jene, für die nicht unbedingt das Hier und Jetzt gilt, sondern ein Tag in der Ewigkeit. Jene, die sich auf den einen Dialogbeginn mit der einen und alles durchdringenden Wahrheit vorbereiten, ohne über den Riemen zu schlagen. Toni sagt nicht: „Wenn ich einmal sterbe, egal, wem oder was ich dann gegenübertrete, ich habe ein paar Fragen an ihn.“ Nein, Toni sagt etwas anderes: „Ich werde mich schelten, im Leben so dermaßen dumm gewesen zu sein. Und deswegen hoffe ich, – nein, ich weiß es, es wird mir eine zweite Chance gegeben. Doch dann mit zwei funktionierenden Armen.“
    In den 70er Jahren gab es einen Gewichtheber, den Gewichtheber schlechthin, den Meister aller Klassen, das Schwergewicht Wassily Alexejew. Ein dickbauchiger Mann aus Taschkent. Er dominierte das Gewichtheben über Jahre. Die Gewichte, die heute Toni hebt, vermag sich kaum einer vorzustellen. Er sagt zurecht: „Ich Sünder gehöre auf den Boden. Dort hingestreckt, büße ich. Trotzdem, trotz aller Bürde, trotz aller Qualen, trotz allen Erbrechens habe ich nie das Bewußtsein verloren. Ich war mehrmals knapp dran, doch das war nur der Niederschlag der drückenden Vision. Ich habe in allem erkannt, ich kann von Gott nichts fordern. So gern ich Superman sein möchte, ich kann es mir nicht als Lebensplan auf die Fahnen heften. So weh es auch tut, doch meinen Egoismus zu überwinden war der eigentliche Titanenkampf, und ebenso der Schmerz, mir eingestehen zu müssen, daß im Leben nicht alles und jedes – auch nicht die größte Anstrengung – mit gleicher Münze zurückgezahlt wird. Diese scheinbare Ungerechtigkeit ist ein Weg, vielleicht der Königsweg zur Erleuchtung. Diese anzustreben wird doch wohl noch erlaubt sein. Dazu muß ich nicht Buddhismus studieren. Ich wüßte auch nicht, wann ich dazu die Zeit hätte. Jetzt, wo das Schach in mein Leben zurückgekehrt ist.“

    Bildergebnis für Anton Stummer

  2. Mutter, Königin, Liane

     

    Die Dinge, die uns beschäftigen, sind zahlreich. Die Chronologie der verborgenen Ereignisse füllt uns wie eine Regentonne im Nu und quillt uns hernach jeden Tag aufs Neue geradezu aus den Poren. Genau dies macht uns in einem fort unruhig. Selten die Momente, wo Ruhe einkehrt. Am frühen Morgen nach dem Aufwachen beispielsweise, wenn wir, von einem massiven Traum beeindruckt, noch weiter liegen bleiben und nachsinnen. Etwas Neues hat soeben Einzug in uns gehalten. Ruhe kehrt weiters ein, wenn wir nächtens im Tempel sitzen und der Mutter huldigen. Die Ayahuasca-Zeremonie ist heilig. Der Zeremonienleiter, die Leiterin, bekleiden eine Priesterfunktion. Noch mehr: Sie müssen bereits Priester, Priesterin sein. Das Leben einer Priesterin kann nur ein vorbildliches sein. Durch die gesalbte Person wirkt Christus. Durch die Ayahuascera wirkt ein Engel. Vielleicht sogar die Gottesmutter. Die Ayahuasca-Trinker sehen sich unweigerlich vor die Notwendigkeit eines Reueempfindens gestellt. Wer nicht bereut, ist Ayahuasca unwürdig. Die Ayahuasca-Zeremonie ist das Erleben des Fegefeuers zu Lebzeiten. Don Agustins Ausspruch: „Eine exquisite Folter“, hat seine Berechtigung. An diesen Zwangsmomenten führt kein Weg vorbei, sobald man/frau den Becher, die paté-Schale, getrunken hat. Jene, die den Becher, den sie in der Hand halten, schlußendlich abweisen, bezeugen mit ihrer Geste unweigerlich, sie haben ein ernstzunehmendes Problem. Im Späteren bewahrheitet es sich, oft sogar kraß. Es gibt auch genügend Scharlatane, die Ayahuasca oder das, was sie dafür halten, in reichlichem Maße an Gringos ausschenken, doch selbst nicht trinken. Sie trinken Coca Cola, vermischt mit Rum. Diese Scharlatane arbeiten oft zu zweit. Sie vergewaltigen Frauen direkt in einer Ayahuasca-Zeremonie im Nebenraum. Andere starten Diebstahlsaktionen in den leerstehenden Bungalows. Dies ist der handgreifliche Beweis, daß der Teufel auch in Kirchen aus und ein geht, oder wie es die Franzosen in ihrem Weisheitsschatz formulieren, „der Teufel in jeder Kirche seine Kapelle unterhält“. Es gibt auch Teilnehmer, die sich unmittelbar vor der Zeremonie innerhalb von Sekunden in einander verlieben, und die dann mitten in der Zeremonie hinausschleichen, um in der Ayahuasca-Brauküche heißhungrig über einander herzufallen. All dies sind haarsträubende Ausflüchte. Wahres Ayahuasca hingegen ist eine todernste Anfrage von Seiten eines Pflanzengeistes, der aus der Unendlichkeit kommt. Dieser Geist steht über dem Menschen. Er leitet uns.

    Ayahuasca leitet uns. Es belehrt uns. Es spricht zu uns. Sie, eine Frau, ist unsere Wohltäterin. Die ernsthaft Lernenden – Brigitta, zum Beispiel, oder Antonio, der Unübertroffene – sehen sie: eine menschliche Person, das Gesicht jedoch Licht. Ayahuasca ist die Lehrmeisterin schlechthin. Sie ist faktibel. Ihr Auftreten ist bezeichnend. Die Visionen mit ihr lebensrettend. An einer Vision ist jedes Detail von größter Wichtigkeit, so wie untertags, wenn ein Pflanzengeist, den wir gerade diätieren, uns auf die Schulter klopft. Jedes kleinste Detail von allergrößter Wichtigkeit, denn schlußendlich steht unser Leben auf dem Spiel. Ein Spiel ist es vielleicht für uns, die Unwissenden, die Verblendeten. Doch für Gott, den Schöpfer, ist es das ganz und gar nicht. Das wird in Ayahuasca ab einer bestimmten Stärke unweigerlich und unleugbar klar. Diesen Ernst kann niemand wegwischen. Vor diesem Druck flüchtet niemand. Im schlimmsten Fall beginnt man wie die Russen, die seit zehn Jahren vermehrt in Amazonien ankommen, zu rasen. Man rast mit dem Kopf gegen die Wand, tritt mit dem Fuß gegen Tragsäulen, stürzt Hals über Kopf ins Freie und landet direkt in Stachelpalmen oder stacheligen Kakteen. Die Indios nehmen es mit der Ordnung während ihren Zeremonien nicht so genau. Man darf aufstehen und in den Urwald wandern, ob mit oder ohne Taschenlampe. Sie wissen, es steht um uns einigermaßen schlecht. Sie können für uns nicht viel tun, außer Singen. Auch ein Exorzist wie Pater Pio konnte nur unentwegt beten, während die Teufelin ihn anspuckte oder ihn unter heftigem Beben teuflisch hämisch angrinste: „Du stehst immer noch?“

    Das Trinken der Medizin ist heilig, so wie unser Leben. Würden wir alle unser Leben heiligen, wären wir ganz woanders. Ganz woanders. Doch wir sind nicht mehr im Paradies, und wir verweilen auch nicht wie manche Klosterbrüder oder Klosterschwestern die ganze Zeit über in einer Kapelle. Wir stehen alsbald schon wieder im Feuer des Krieges, eines Krieges, der sich an Funken entzündet, beispielsweise am Anmonieren einer zu geringen Ayahuasca-Dosis vergangene Nacht. Der Konsument ist 13.000 Kilometer geflogen. Er sucht ein Abenteuer, das im die Ganglien durchputzt und er am Boden liegen darf, für Stunden, hingeschmettert, und er in seiner Besinnungslosigkeit wie ein Kleinkind Lehm ißt. Er zieht eine Überdosis einer Unterdosis vor, und das bemerkt er kritisch mit vorwurfsvollem Blick. Andere haben gelernt zu beten. Sie erbrechen, und dann widmen sie sich dem Gebet. Sie beten nicht zu Mutter Ayahuasca, sie beten zu Gott. Es gibt sehr wohl solche Menschen. Gläubige. Beneidenswerte. Wahrhaftig: die Gläubigen werden beneidet. Keiner sieht sie als naiv, keiner als bemitleidenswerte Illusionisten. Die meisten fragen diese Betenden: „Wie findest Du nur so einfach deinen Frieden? Regt dich denn nicht alles, was Du siehst und was hier so auf Erden passiert, unendlich auf?“ Und dann kommt die Antwort: „Nein, denn meinen Frieden mit Gott zu finden, ist das Allerwichtigste. Meinen Seelenfrieden. So wie es uns der Herr verkündete nach seiner Auferstehung, als er die Jünger mit seinem Atem anblies. Er gibt uns etwas, was nicht von dieser Welt ist. Das scheint mir bei Ayahuasca auch der Fall zu sein. Dieses Getränk beinhaltet eine Essenz, die wie ein faustdickes Sakrament wirkt. Vielleicht ist es gerade das, was deine Kunden suchen, Wolfgang: Ein Sakrament, das sie umwirft. Kein diskretes. Sie möchten wie Jakob mit einem Engel ringen und von ihm zu Boden geworfen werden. Das ist ihr sehnlichster, heimlicher Wunsch. Ein umwerfender Gottesbeweis. Suchen wir das denn nicht alle?“

    Ayahuasca ist wahre Metaphysik. Für manche Meisterin – Indio-Meisterin – ist sie die Hohepriesterin, die uns in Verzückung versetzt. Alle waschechten Shipibos singen verzückt, solange sie noch nicht international aufgetreten sind. Danach setzt unweigerlich schleichende Abnutzung, Abschleifung, Gewöhnung ein, gefolgt von Überheblichkeit und Eigendünkel. Bescheidene Meister sind sich dieser unwürdigen Gefahr bewußt und verlassen deshalb niemals ihre heimatlichen Kreise. Ja, es gibt diese Personen höchster Bescheidenheit. Dies sind die wahren Heiligen, die im Verborgenen leben, wie etwa Solon Tello, der schon lange tot ist. Ein Mann ohne den leisesten Anflug von Theatralik. Ein Mann, der ohne jede Scham sein Gebiß vor dem Singen herausnahm und in ein Wasserglas legte. Ein typischer Spiritist, der Kalvarienberglieder singt, hätte man beim ersten Zuhören in seiner stickigen Schlafkemenate urteilen können. Ein monotoner Vortrag, der im Leiden und im Erlösungswerk des Herrn schwelgt. Was soll daran Besonderes sein? Doch dann, wie aus dem Nichts, überkommt einen die Vision. Eine Schau aus dem Innersten, und sie reißt uns mit einem Schrei hoch. Und später die Engel im Nonnengewand, Nonnengeister vielleicht, wie sie eine seiner Schülerinnen an der Schulter behandeln, und ich diesen Heilungsakt für das Allerselbstverständlichste in Ayahuasca nehme. Dies ist wahre Meisterschaft. Sie feiert Ayahuasca als heilige Messe. Die Medizin selbst nicht stärker als Tee. Du trinkst sie ohne Nachschluck-Wasser. Diesmal ohne Wasser, sagst du dir. Ist ja nicht so stark. Außerdem ist sie dünnflüssig und braun, nicht bedrohlich schwarz. Bei Don Solon bin ich auf der sicheren Seite. Soviel steht fest. Ein durch und durch sympathischer, halb blinder Opa. Wir sind hier in seinem Schlafzimmer zu siebt wie die Sardinen geschlichtet, am Boden. Die füllige Peruanerin sitzt direkt vor der Tür am Boden. Voraussichtlich wird sie in der Zeremonie einschlafen und danach sogar diskret schnarchen, so wie sie es ja alle tun. Das sagt alles. Der Opa bleibt mir dennoch unverrückbar sympathisch. Er hat die purga in Belén bei einer Frau seines Vertrauens gekauft, sagt er. Na und? Ist doch in Ordnung. „Ich unterhalte keine Gärten oder Waldungen, die mir gehören“, gibt er zur Erklärung. Der Mann ist arm. Er verlangt 15,- Dollar. Andere verlangen 200,- Dollar! Das spricht doch für sich. Seltsam: Alles, was dieser Spiritist nuschelt, mag ich. Vom Schlag weg hege ich Vertrauen. Das ist der Grad an gesteigerter Intimität, den ich mag. Eine Privatsoirée im Schlafzimmer, der Meister sitzt auf seinem schmalen Bett. Sein Pyjama liegt auf dem Polster, sicherlich von seiner Tochter oder Schwiegertochter gebügelt und liebevoll gefaltet. Ich versinke in meiner Minikoje auf einem Quadratmeter. Möge geschehen, was geschehen darf. Und so geschieht es. Danach, um 23 Uhr, gehe ich mit meiner Begleiterin zurück, mitten durchs Stadtzentrum, das still da liegt. Wir verabschieden uns am Hauptplatz. In der Pascana versieht der Nachtwächter seinen Schichtdienst. Auch er grüßt mich freundlich. Ich schlafe schnell und dankbar ein, – in fremden Betten keine Selbstverständlichkeit.

    Ayahuasca, unser Schutzengel. Ich will ihn nicht vergessen. Sie. Seltsam: Es wirft mich hin und her. Jeden Tag. Habe ich das nötig? Dieses innere Suhlen in Gewalt und wütender Hilflosigkeit? Was ist es doch seltsam. Der Prüfmeister läßt nicht locker. Es wird Zeit, wieder einmal zu trinken. Danke, Mutter.

     

    Banisteriopsis caapi

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